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Hart

Hart

Titel: Hart
Autoren: Gwen Masters
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war. Wenn ich hier wieder wegfuhr, würde ich zu Tom zurückkehren, und wir würden unser neues Leben ernsthaft in Angriff nehmen. Ich würde den nächsten Schritt tun im Leben, die Wunde würde vernarben und wie die meisten Narben vergessen werden, bis irgendetwas mich daran erinnern würde, und dann wäre sie nur noch eine nostalgische Reminiszenz, eine Geschichte, die ich Freunden erzählen könnte, wenn sie mich nach der Narbe fragten.
    Aber heute Abend, jetzt, konnte ich hier sitzen und mich erinnern.
    Ich ließ mich in den Sitz sinken. Im Radio spielte eine leise, langsame Melodie. Das Haus war still und dunkel. Michael war, wie ich wusste, bei der Arbeit und schwitzte in einer lauten Fabrik, während sein Kopf voller Träume war. So war er immer – geerdet und praktisch, ein Träumer, dessen Gedanken davonflogen, während sein Leben ihn zurückhielt. Er hatte oft gesagt, er sei in diesen Bergen geboren und werde in ihnen sterben, ohne je eine Gelegenheit zu bekommen, aus der kleinen Stadt herauszukommen, die er seine Heimat nannte.
    Ich saß dort in meinem Wagen und blickte auf das Haus, in dem er seit seiner Kindheit lebte, das Haus, das unmittelbar am Berghang lag und in dem die heitere Gewissheit herrschte, dass man für den Rest seines Lebens dort bleiben würde.
    Ein paar Tränen rollten mir über die Wangen, als ich daran dachte, wie es gewesen war und dass vielleicht nur ein oder zwei Dinge anders hätten laufen müssen, damit ich mein Leben in diesem Haus verbracht hätte, das er so sehr liebte. Aber es waren Tränen der Nostalgie, nicht des Schmerzes, und diesmal war ich Michael dankbar – denn ohne ihn hätte es keinen Tom für mich gegeben.
    Endlich wusste ich, wohin ich gehörte.
    Ich hatte gerade die Hand an den Schlüssel gelegt, um den Wagen anzulassen und die Stadt zu verlassen, da sah ich, wie Scheinwerfer auf die Straße einbogen. Schnell ließ ich mich in meinen Sitz zurücksinken und hoffte, dass keiner mich sehen und sich fragen würde, warum um alles in der Welt ich hier, so weit von zu Hause, im Dunkeln saß. Ich hatte vorgehabt, an Michaels Fabrik vorbeizufahren und die Ausfahrt aus der Stadt zu nehmen, die an dem See vorbeiführte, den er so sehr liebte, und dann wäre ich endgültig weg gewesen.
    Das Scheinwerferlicht näherte sich langsam. Der Blinkerwurde nicht gesetzt. Der Geländewagen bog in Michaels Zufahrt ein und fuhr in seinen Carport. Ich beobachtete, wie der Fahrer den Motor abstellte und die Lichter erloschen. Nur einer konnte so selbstbewusst in den Carport fahren – der Mann, der hier sein ganzes Leben zugebracht hatte.
    Neue Tränen traten mir in die Augen, als Michael aus dem Wagen stieg. Er sah beinahe noch so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Das Haar unter seiner Baseballkappe war ein bisschen länger geworden. Er war genauso muskulös, breit und gut gebaut wie immer. Er hatte denselben Gang. Und er blickte sich genauso aufmerksam um.
    Als er meinen Wagen sah, blieb er stehen.
    Obwohl ich wusste, dass er mich in der Dunkelheit nicht sehen konnte, erstarrte ich und bekam fast keine Luft mehr. Ich dachte daran, die Tür zu öffnen, auszusteigen und ihm zu zeigen, wer da auf ihn wartete, auf ihn zuzugehen und ihn zu begrüßen. Aber ich wusste auch, dass das die harte Arbeit untergraben hätte, die Tom und ich in den letzten Monaten in unsere Beziehung gesteckt hatten. Ich war inzwischen stärker geworden, und ein Teil dieser neuen Kraft lag darin, dass ich meine Schwächen kannte – und meine große Schwäche war immer noch, vielleicht für alle Zeiten, dieser Mann, der dort in der Zufahrt stand.
    Ich stieß den Atem aus, den ich angehalten hatte. Michael schaute weiter, beschloss aber schließlich, dass es keinen Anlass zur Sorge gab. Er wandte sich dem Haus zu.
    Sein Handy klingelte.
    Ich hörte das Klingeln über die Straße hinweg. Michael klappte das Handy auf und redete hinein. Sein Verhalten änderte sich. Er entspannte die Schultern und lächelte. Seine Stimme war anders als üblich, und mit ziemlicher Überraschung erkannte ich sie als die Stimme vom Anfang unserer Beziehung wieder – sie war von einer Zärtlichkeit erfüllt, die er damals für mich reserviert hatte.
    Er hatte also doch eine neue Beziehung.
    Im selben Moment merkte ich, dass ich froh darüber war.
    Ich sah ihm nach, wie er ins Haus ging. Die Lichter gingen eines nach dem anderen an, bis er oben im Schlafzimmer war. Nach ein paar Minuten ging dieses Licht aus. Ich saß lange im
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