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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
Autoren: Michael Connelly
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Todesstrafe fordern.«
    Williams legte mir die Hand auf die Schulter und zog mich von den Mikrophonen fort.
    »Ähm, lassen Sie uns hier erst mal nicht zu weit vorgreifen«, sagte er rasch. »Die Staatsanwaltschaft ist noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung gekommen, ob wir in diesem Fall die Todesstrafe beantragen werden. Das hat Zeit bis später. Dennoch hat Mr. Haller damit einen ebenso schwerwiegenden wie bedauerlichen Punkt angeschnitten. Es kann in unserer Gesellschaft kein schlimmeres Verbrechen geben als den Mord an einem Kind. Deshalb müssen wir alles in unserer Macht und Möglichkeit Stehende tun, um Melissa Landy Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
    »Augenblick noch«, rief ein Reporter von den mittleren Sitzreihen. »Was ist mit Jessup? Wann wird er für den Prozess hergebracht?«
    Williams legte die Hände an die Seiten des Pults, aber diese scheinbar beiläufige Geste diente nur dem Zweck, mich von den Mikrophonen fernzuhalten.
    »Mr. Jessup wurde heute Morgen von der Polizei von Los Angeles in Gewahrsam genommen und wird gerade aus San Quentin hierhergebracht. Er wird in das Gefängnis Downtown eingeliefert, und das Verfahren wird aufgenommen. Das Urteil gegen ihn wurde revidiert, aber die Anklagepunkte gegen ihn bleiben bestehen. Mehr haben wir dazu im Augenblick nicht zu sagen.«
    Williams trat vom Rednerpult zurück und winkte mich zum Ausgang. Er wartete, bis ich losging und mich von den Mikrophonen entfernt hatte. Erst dann folgte er mir. Er drängte sich von hinten ganz dicht an mich heran, und als wir durch die Tür gingen, flüsterte er mir ins Ohr:
    »Tun Sie das noch mal, und ich feure Sie auf der Stelle.«
    Ich drehte mich im Gehen zu ihm um.
    »Wenn ich was tue? Eine Ihrer vorher abgesprochenen Fragen beantworten?«
    Wir traten in den Flur hinaus. Dort wartete Ridell mit dem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, einem gewissen Fernandez. Doch Williams lotste mich von ihnen fort den Gang hinunter. Er sprach immer noch im Flüsterton.
    »Sie haben sich nicht ans Drehbuch gehalten. Wenn Sie das noch mal machen, können wir einpacken.«
    Ich blieb stehen und drehte mich um, so dass Williams fast in mich hineinrannte.
    »Nur damit das klar ist: Ich bin nicht Ihre Marionette. Ich bin ein selbständiger Auftragnehmer, falls Sie das schon wieder vergessen haben sollten. Behandeln Sie mich anders, dürfen Sie diese heiße Kartoffel ohne Topflappen halten.«
    Williams starrte mich nur finster an. Offensichtlich hatte er immer noch nicht begriffen.
    »Und was sollte dieser Quatsch mit der Todesstrafe?«, zischte er. »So weit waren wir noch nicht, und Sie waren nicht befugt, sich dazu zu äußern.«
    Er war größer und kräftiger gebaut als ich, und er hatte seinen Körper dazu benutzt, mich in meinem Bewegungsspielraum einzuengen und an die Wand zu drängen.
    »Es wird Jessup zu Ohren kommen und zu denken geben«, sagte ich. »Und wenn wir Glück haben, bietet er uns einen Deal an, und die ganze Sache, die Zivilklage eingeschlossen, erledigt sich von selbst. So würden Sie eine Menge Geld sparen. Denn darum geht es hier doch letztlich. Um Geld. Wenn er ein zweites Mal verurteilt wird, kann er auch keine Zivilklage anstrengen. So sparen Sie und die Stadt sich ein paar Millionen.«
    »Das spielt absolut keine Rolle. Hier geht es nur um das Recht, und Sie hätten mir auf jeden Fall sagen sollen, was Sie vorhaben. Man fällt seinem eigenen Chef nicht in den Rücken.«
    Die physische Einschüchterung lief sich sehr schnell tot. Ich legte meine Handfläche auf seine Brust und schob ihn von mir fort.
    »Tja, bloß sind Sie nicht mein Chef. Ich habe keinen Chef.«
    »Ach ja, meinen Sie? Wie bereits gesagt, könnte ich Sie auf der Stelle feuern.«
    Ich deutete den Flur hinunter auf die Tür des Pressekonferenzsaals.
    »Klar, würde ja auch einen hervorragenden Eindruck machen. Den unabhängigen Ankläger zu entlassen, den
Sie
gerade ernannt haben. Hat das Nixon nicht auch bei der Watergate-Affäre gemacht? Was es ihm gebracht hat, weiß inzwischen jeder. Sollen wir also noch mal reingehen und es ihnen erzählen? Bestimmt sind noch ein paar Kameras aufgebaut.«
    Williams erkannte sein Dilemma und zögerte. Ich hatte ihn in die Enge getrieben, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Wenn er mich entließ, stünde er da wie ein kompletter und unmöglich wählbarer Vollidiot, und das wusste er. Er beugte sich vor und zischte mich noch leiser an, als er die
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