Harper Connelly 04 - Grabeshauch
Mark zuzuhören, und an dem Getränk nippte, das mir die Kellnerin gebracht hatte, ließ ich mir das Gespräch
an Ionas Küchentisch noch einmal durch den Kopf gehen. Irgendetwas, das ich wahrgenommen hatte, hatte mich beunruhigt. Etwas,
an das ich mich nach dem Aufhebens um unsere familiären Enthüllungen nicht mehr erinnern konnte.
Da sich Mark und Tolliver eindeutig zu lange in Einzelhandelsdiskussionen verloren, ging ich noch einmal alle Personendurch, die mit am Tisch gesessen hatten. Dann frischte ich meine Erinnerung an die Gegenstände auf dem Tisch auf. Schließlich
gelang es mir, den Grund für meine Beunruhigung ausfindig zu machen. Ich wartete, bis die Brüder verstummten, bevor ich abrupt
das Thema wechselte.
»Besuchst du die Mädchen oft, Mark?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er und zog schuldbewusst den Kopf ein. »Von mir aus ist es ziemlich weit, und ich habe abartige Arbeitszeiten.
Außerdem sorgt Iona immer dafür, dass ich mich dort unwohl fühle.« Er zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt interessieren sich
die Mädchen nicht besonders für mich.«
Mark hatte den Wohnwagen verlassen, sobald er konnte, was auch wir sehr befürworteten. Er besuchte uns, wenn unsere Eltern
nicht da oder weggetreten waren. Und er versorgte uns Gott sei Dank mit Lebensmitteln, sooft er konnte. Aber das bedeutete
auch, dass er nicht so allgegenwärtig gewesen war wie wir, als die Mädchen noch klein waren. Er hatte nicht die Möglichkeit
gehabt, eine wirkliche Bindung zu ihnen herzustellen. Cameron, Tolliver und ich hatten uns um Mariella und Gracie gekümmert.
Wenn mich die bösen Erinnerungen im Schlaf heimsuchten und weckten, wurde mir wieder ganz schlecht vor Angst bei dem Gedanken,
was den Mädchen alles hätte zustoßen können, wenn wir nicht gewesen wären. Doch das durfte und sollte die Mädchen nicht kümmern.
»Du hast also in letzter Zeit nicht mit Iona gesprochen.« Ich musste an die Gegenwart und an die Zukunft denken.
»Nein.« Mark sah mich fragend an.
»Weißt du, dass Iona von deinem Dad gehört hat?« Es war die Schrift meines Stiefvaters gewesen, die ich in dem Brief auf dem
Poststapel entdeckt hatte!
Aus Mark würde nie ein guter Pokerspieler, denn er hatte eindeutig ein schlechtes Gewissen. Ich musste lächeln, als ichsah, wie erleichtert er war, dass die Kellnerin ausgerechnet jetzt kam, um unsere Bestellungen aufzunehmen.
Aber dieses Lächeln sollte mir bald vergehen. Ich wagte es nicht, Tolliver einen Seitenblick zuzuwerfen.
Als die Kellnerin verschwunden war, zeigte ich auf Mark, zum Zeichen, dass er mit der Sprache herausrücken sollte.
»Na ja, das wollte ich euch noch erzählen«, sagte er und starrte auf sein Besteck.
»Was wolltest du uns noch erzählen, Bruderherz?«, fragte Tolliver angestrengt höflich.
»Dad hat mir vor ein paar Wochen geschrieben«, sagte Mark. Oder beichtete es vielmehr. Dann wartete er, dass Tolliver ihm
die Absolution erteilte, was dieser jedoch nicht vorhatte. Wir beide wussten, dass Mark den Brief beantwortet hatte, sonst
würde er jetzt nicht so herumdrucksen.
»Dad lebt also«, sagte Tolliver, und jeder andere hätte seine Stimme für neutral gehalten.
»Ja, er hat einen Job. Er ist wieder clean, Tol.«
Mark hatte schon immer eine Schwäche für seinen Vater gehabt. Und er war stets unglaublich naiv, wenn es um seinen Vater ging.
»Seit wann ist Matthew eigentlich wieder aus dem Gefängnis?«, fragte ich, da Tolliver nicht auf Marks Bemerkung reagierte.
Ich hatte es nie geschafft, Matthew Lang ›Vater‹ zu nennen.
»Äh, seit einem Monat«, sagte Mark. Er faltete den kleinen Papierserviettenring, der Besteck und Serviette zusammengehalten
hatte. Dann entfaltete er ihn und faltete ihn erneut. Diesmal verkleinerte er ihn zu einem Rechteck. »Er ist wegen guter Führung
vorzeitig entlassen worden. Nachdem ich ihm geantwortet habe, hat er mich angerufen und gesagt, dass er wieder Kontakt zu
seiner Familie aufnehmen will.«
Ich war mir ziemlich sicher, dass Matthew rein zufälligerweiseauch Geld und eine Übernachtungsgelegenheit wollte. Ob Mark seinem Vater tatsächlich glaubte? War er tatsächlich so blauäugig?
Tolliver sagte kein Wort.
»Hat er sich bei deinem Onkel Paul oder bei Tante Miriam gemeldet?«, bemühte ich mich, das Schweigen zu brechen.
Mark zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Mit denen spreche ich nie.«
Auch wenn es nicht wirklich stimmte, dass Tolliver und ich mit Ausnahme von Mark
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