Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
über Nacht, um ihnen die nötige Festigkeit zu verleihen. Wenn man mit dem Gegenstand absolut fangfrisch umgeht, besteht die Herausforderung darin, die Masse davon abzuhalten, sich in eine Handvoll klumpiger Gelatine aufzulösen. Mit unübertrefflicher Geschicklichkeit legte der Doktor die bißfesten Scheiben auf einen Teller, wälzte sie leicht in einer MehlGewürz-Mischung und dann in frischen Brioche-Bröseln. Er hobelte frische schwarze Trüffel in die Soße und vollendete sie mit einem Spritzer Zitronensaft. Dann sautierte er die Scheiben kurz, bis sie auf beiden Seiten gerade braun waren. »Riecht
ausgezeichnet!« krähte Krendler. Dr. Lecter balancierte das gebräunte Hirn auf geröstete Weißbrotscheiben, die auf den vorgewärmten Tellern lagen, und richtete es mit Soße und Trüffelscheiben her. Eine Garnierung aus Petersilie und ganzen Kapern am Stiel und eine einzige Blüte Kapuzinerkresse auf Brunnenkresse, um der ganzen Angelegenheit ein wenig Höhe zu verleihen, krönte sein Ensemble. »Wie ist es?« fragte Krendler, der wieder hinter dem Blumengebilde verschwunden war und nun übermäßig laut sprach, wie das Personen mit Lobotomien zu tun geneigt sind. »Ganz ausgezeichnet«, sagte Starling, »ich habe noch nie zuvor Kapern gegessen.« Dr. Lecter fand den Glanz der Buttersoße auf ihren Lippen ausgesprochen anrührend. Krendler sang hinter dem Grün, überwiegend Kindergartenlieder, und nahm Musikwünsche entgegen. Ohne ihn zu beachten, sprachen Dr. Lecter und Starling über Mischa. Starling wußte von dem Schicksal der Schwester des Doktors aus ihren Gesprächen über Verlust, aber nun sprach der Doktor hoffnungsfroh über deren mögliche Rückkehr. Es erschien Starling an diesem Abend nicht unsinnig, daß eine Möglichkeit für Mischas Rückkehr bestand. Sie brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, Mischa begegnen zu können. »Sie dürften bei mir im Büro nicht einmal ans Telefon gehen. Sie klingen ja wie eine Maisbrot-Fotze«, gellte Krendler durch die Blumen. »Lassen Sie uns doch mal sehen, ob ich nach Oliver Twist klinge, wenn ich einen NACHSCHLAG in Auftrag gebe«, antwortete Starling, was bei Dr. Lecter eine Ausgelassenheit zur Folge hatte, die er kaum zügeln konnte. Eine zweite Portion verschlang das meiste des Stirnlappens bis nahe an den prämotorischen Cortex. Krendler wurde hinter den Blumen auf irrelevante Beobachtungen in seinem unmittelbaren Gesichtsfeld und den unmelodischen Vortrag eines längeren obszönen Verses reduziert. Starling und Lecter waren ins Gespräch vertieft und kaum mehr gestört, als wenn in einem Restaurant am Nebentisch »Happy Birthday« gesungen würde. Als Krendlers Lautstärke aufdringlich zu werden begann, holte Dr. Lecter seine Armbrust aus der Ecke. »Ich möchte, daß Sie dem Klang dieses
Saiteninstruments lauschen, Clarice.« Er wartete, bis Krendler einen Augenblick still war, und schoß einen Bolzen quer über den Tisch in das riesige Blumengebilde. »Sollten Sie diese ganz spezielle Frequenz der Armbrustsaite jemals wieder in irgendeinem Zusammenhang hören, bedeutet sie einzig und allein Ihre vollständige Freiheit, Ihren Frieden und Ihre Unabhängigkeit«, sagte Dr. Lecter. Die Federn und ein Teil des Schaftes blieben auf der sichtbaren Seite des Blumenarrangements und bewegten sich mehr oder weniger wie ein Taktstock, der ein Herz regierte. Krendlers Stimme brach sofort ab, und nach wenigen Schlägen verharrte auch der Taktstock. »Ist das ein D unter einem eingestrichenen C?« fragte Starling. »Exakt.« Einen Augenblick später gab Krendler hinter seinen Blumen einen gurgelnden Laut von sich. Es war ein Krampf in seinem Kehlkopf, der durch den steigenden Säuregehalt in seinem Blut verursacht wurde, wie das bei einem gerade Verstorbenen nur natürlich war. »Wir sollten zu unserem nächsten Gang übergehen«, sagte der Doktor, »ein wenig Sorbet, um unsere Gaumen vor den Wachteln zu erfrischen. Nein, nein, bleiben Sie ruhig sitzen. Mr. Krendler wird mir beim Abtragen behilflich sein. Wenn Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen wollen.« Es war alles schnell geschehen. Hinter dem Blumenschirm kratzte Dr. Lecter einfach die Reste von den Tellern in Krendlers Schädel hinein und stapelte sie in dessen Schoß. Dann setzte er Krendler wieder die Schädeldecke auf und zog ihn an einer Schnur, die er an einen Transportwagen unter dessen Stuhl befestigt hatte, in die Küche zurück. Dort zog Dr. Lecter seine Armbrust wieder auf. Der Bequemlichkeit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher