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Hannes - Falk, R: Hannes

Hannes - Falk, R: Hannes

Titel: Hannes - Falk, R: Hannes
Autoren: Rita Falk
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ich kann dir ja kaum solche Geschichten erzählen vom Kalle und der Nele und dir damit dein Herzrausreißen. Also les ich dir die Sportseiten vor oder massier deine Hände. Ich merke genau, dass dir das zu wenig ist, weil du in die Kastanie guckst. Du guckst immer in die Kastanie, wenn ich dir was präsentier, was dich nicht interessiert. Wenn ich aber was sag, was du magst, guckst du mich an mit deinem wackeligen Kopf. Und manchmal grinst du dabei. Diesmal eben nicht, weil dich das alles gelangweilt hat. Mich zugegebenermaßen auch, und so hab ich schließlich beschlossen, dich ein wenig herumzufahren. Wir sind also vom Fenster weg und durch die Tür raus. Raus aus dem Zimmer, das du seit Monaten nicht mehr verlassen hast, Hannes. Wir sind den Korridor entlang, mit dem Aufzug in alle möglichen Etagen, haben hier und dort aus dem Fenster geschaut, und am Ende hab ich dich wieder zurückgebracht. Hab dich wieder an deinen Platz gestellt und mich aufs Fensterbrett gesetzt. Dann hast du deinen Kopf zu mir rübergewackelt und nach meiner Hand gegriffen. Die hast du ganz ordentlich gedrückt, mein Freund. Und ich glaub, ich hab dich ganz gut unterhalten.
     
    Am Sonntag haben meine Eltern angerufen und ich hab meinem Vater die Sache mit dem deinen erzählt. Hab gesagt, der soll mal lieber da bleiben, wo er ist, weil er dir mit seinem Verhalten mehr schadet als nützt. Mein Vater war sehr betroffen, und er hat gesagt, dass diese ganze Geschichte, auch die Trennung deiner Eltern, jetzt schon ziemlich schlimm ist. Man müsste halt als Familie zusammenhalten, hat er gesagt. Und dass er froh und dankbar ist, dass wir als Familie so wunderbar zusammenhalten. Ja. Er fragt mich übrigens nicht mehr nach der Posaune und ich sag natürlich auch nix, weil ich ja keine schlafenden Hunde wecken möchte.
    Als ich heute zu dir rein bin, hattest du wieder Krankengymnastik und der Typ mit den Kopfhörern war da. Hab da ’ne Weile zugeschaut, musste dann aber dringend zur Schicht. Aber ich kann dir sagen, mein Freund, es sieht schon viel besser aus als beim ersten Mal. Aus dir wird noch ein echter Turner.

Dienstag, 19.12.
    Heute war endlich die Walrika bei dir und hat dich angeschaut. Anschließend ist sie über eine Stunde lang beim Schnauzbart im Zimmer gewesen und ich hab derweil davor gewartet. Bin auf und ab gelaufen, hab einige Male vergeblich an der Tür gelauscht und schließlich ist sie rausgekommen, die Walrika. Sie ist rausgekommen, hat sich bei mir untergehakt und den Kopf geschüttelt. »Es geht nicht, Uli«, hat sie gesagt. »Es wäre einfach unverantwortlich. Der Hannes muss in ein Pflegeheim, das für solche Fälle ausgerüstet ist, wissen Sie. Wir sind es nicht, und der Herr Doktor hat gesagt, es wäre unverantwortlich, wenn wir den Hannes bei uns aufnehmen.« Bin dann zum Schnauzbart rein und hab ihn gefragt, wie zum Teufel er Verantwortung definiert. Hab gesagt, dass er das Vogelnest überhaupt nicht kennt, und erst recht nicht das Personal dort. Dass er sich überhaupt keine Meinung bilden kann, weil er eben überhaupt keine Ahnung hat. Ich hab gesagt, dass er, wenn er schon von Verantwortung redet, die auch mal übernehmen soll. Und dazu würde zuallererst gehören, das Vogelnest mal anzuschauen. Er hat mich wie immer austoben lassen und dann gesagt: »Mein lieberUli, ich vermute tatsächlich, dass wir zwei völlig unterschiedliche Interpretationen von Verantwortung haben. Wenn ich mal bedenke, dass Sie Ihren Freund vor ein paar Tagen durch die Gänge geschoben haben. Ohne Absprache und Erlaubnis oder wenigstens einer kleinen Information über Ihr Vorhaben im Schwesternzimmer. Sie haben ihn vollkommen ungeschützt dort hingebracht, wo es zieht, weil ständig Türen auf- und zugehen. Wo es vor Keimen geradezu wimmelt. Genau dort haben Sie ihn hingebracht, Ihren Freund, den der leiseste Windhauch töten kann, junger Mann. Ganz abgesehen davon, dass Sie ihn kurz davor fast den Flammen überlassen hätten, nicht wahr? Wir sollten ein andermal über Verantwortung reden, Uli. Und bis dahin machen Sie sich mal ein paar Gedanken darüber.«
    Ich hab jetzt gar nicht mehr gewusst, was ich sagen soll, war aber auch egal, weil er mich zur Tür rausschob. Irgendwie ist das alles nicht so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe.
    Und dann hab ich auf der Fahrt ins Vogelnest (die Walrika und ich waren mit dem alten Sanka unterwegs) auch noch die Nele und den Kalle gesehen. Sie sind auf dem Bürgersteig gegangen, eng umschlungen,
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