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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung
Autoren: Kerstin Rachfahl
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dar, wie sie wusste. Er trainierte täglich. Als sie merkte, dass sich ihr Abstand zu ihm vergrößerte, drosselte sie das Tempo.
     
    Ben war froh, als Hanna die Geschwindigkeit ihrer Schritte verringerte. Sie schien verdammt gut in Form zu sein, das war ihm bereits gestern aufgefallen, als er ihr von der Kirche aus gefolgt war. Hanna hatte eine effiziente Art zu gehen, die wenig Kraft kostete, und er konnte sich ohne Probleme vorstellen, wie sie Stunden durch die Wildnis lief für ein einziges gutes Foto. Normalerweise hätte es für ihn keine Schwierigkeit bedeutet, sich ihrem Tempo anzupassen. Doch seine Wunde bereitete ihm heute mehr Ärger als gestern.
    Bisher hatte Hanna kein Wort zu ihm gesagt. Sie schien auch nicht überrascht, dass er auf sie gewartet hatte. Sie war nicht dumm, leider auch nicht neugierig, und sie war geduldig. Er hatte erwartet, dass sie ihn fragte, was er hier suche oder wie er an das Album herangekommen war. Irgendetwas. Doch sie tat ihm den Gefallen nicht. Er wusste noch nicht einmal, wohin sie unterwegs waren. Im Grunde hatte er nur die vage Hoffnung gehabt, dass Hanna es sich nicht entgehen lassen würde, heute eine Tour durch Rom zu machen, und er hatte recht behalten. Wenigstens ab und an schien es ihm zu gelingen, ihr Verhalten vorherzusagen. Hanna gehörte nicht zu den Menschen, die viel redeten. Alles, was sie dachte und fühlte, drückte sie in ihren Bildern aus. Nachdem er sie damals halbtot aus dem Feuer gerettet und nach Norwegen in eine einsame Hütte gebracht hatte, bekam sie von ihm eine neue Nikon D4 samt Objektiv geschenkt. Allein die Kamera hatte ihn mit Versandkosten über sechstausend Euro gekostet, hinzu kam das Objektiv mit weiteren tausend Euro. Zu sehen, wie beim Anblick der Kamera das Leben in Hannas Augen zurückkehrte, wäre ihm auch mehr Geld wert gewesen. Norwegen. Schnell verbannte er die Erinnerung in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses.
    »Wohin gehen wir?« Er machte sich keine Hoffnung auf eine Antwort.
    »Castel Sant Angelo.«
    »Castel Sant Angelo, okay«, sagte er gedehnt, »ich dachte, das hättest du in den vier Wochen längst abgehakt.«
    Abrupt blieb sie stehen. Ihre Augen funkelten in einer seltsamen, fremden Farbmischung. Ben legte ein wenig Distanz zwischen sich und Hanna. Sie konnte gefährlich werden. Sein Blick ging prüfend über die Gegend, ein Reflex aus seinem jahrelangen Training. Auf den Straßen von Rom tummelten sich die Römer auf dem Weg zur Arbeit. Touristen konnte er nur wenige entdecken.
    »Seit wann bist du hier?«, stellte sie ihn zur Rede.
    »Seit gestern«, antwortete er wahrheitsgemäß.
    Skepsis lag in ihrer Haltung. Er ließ sie nicht aus den Augen. Zwar rechnete er nicht damit, dass sie ihn hier auf der Straße angreifen würde, aber sicher war sicher. Sie atmete tief ein, schloss kurz die Augen, bevor sie mit dem Verhör fortfuhr. »Weshalb bist du hier?«
    Das war eine schwierige Frage, die er so einfach nicht beantworten konnte. Zwei Männer waren tot und er wusste nicht weshalb. Sein Instinkt vermittelte ihm, dass Hanna nicht alles gesagt hatte, was sie wusste. Weshalb verheimlichte sie etwas? Um Marie zu schützen? Er konnte ihr nicht von den toten Männern erzählen, genauso wenig von den Umständen, die zu seiner Verwundung geführt hatten. Das alles unterlag Geheimhaltung. Offiziell hatte es ihren Einsatz nie gegeben. Er versuchte, mit einer Lüge Zeit zu gewinnen. Das hier war nicht der richtige Moment, sie zum Reden zu bekommen.
    »Ich mache Urlaub.«
    »In Rom?«
    »Ja.«
    »Ausgerechnet dann, wenn ich in Rom bin?«
    »Du scheinst dich in Rom auszukennen«, versuchte er sie von ihrer Frage abzulenken.
    »Nein, tue ich nicht. Es ist mein erster Besuch in Rom. Aber du weichst mir aus und lügst.«
    Ihre Arme verschränkten sich vor ihrer Brust. Ben atmete tief ein und zuckte zusammen, als ihm der Schmerz durch die Seite fuhr. Vorsichtig ließ er die Luft wieder aus seinem Brustkorb entweichen. Hanna runzelte die Stirn. Sie war eine aufmerksame Beobachterin. Bevor sie eine Frage stellen konnte, die er ihr nicht beantworten wollte, entschloss er sich, ihr einen Teil der Wahrheit zu sagen. »Also gut, ich bin deinetwegen hier.«
    »Weiß Oberst Hartmann, dass du hier bist?«
    »Ja«, log Ben, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war sicherer für ihn und Paul, wenn sie das glaubte. Paul hatte ihm Hannas neuen Namen und Aufenthaltsort aus den Daten des Zeugenschutzprogramms organisiert. Allein wäre er an diese
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