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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
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erwiderte der Richter trocken.
    »Der Ehrenwerte Kuo schrieb meiner Mutter, Sie kämen hier vorbei, so daß sie Sie zu einer Konsultation rufen ließ. Sie leidet ebenfalls an Asthma, und gestern hatte sie einen schlimmen Anfall.« Sie warf ihm einen raschen Blick zu und fragte ärgerlich: »Warum tragen Sie ein Schwert? Das wird einen schlechten Eindruck machen. Legen Sie es unter die Bank!«
    Richter Di schnallte langsam sein Schwert ab. Er wußte, daß es Außenstehenden nicht gestattet war, einen Palast mit Waffen zu betreten.
    Nachdem sie eine Weile durch den stillen Wald getragen worden waren, verbreiterte sich die Straße. Sie passierten ein mächtiges, doppelbögiges Steinportal und überquerten dann eine breite Marmorbrücke mit kunstvoll verziertem Geländer. Auf der anderen Seite des Grabens tauchte das hohe Doppeltor des Wasserpalastes auf. Das Mädchen zog den Fenstervorhang zu. Der Richter vernahm gerufene Befehle, und die Sänfte blieb abrupt stehen. Der Anführer der Träger wechselte ein paar geflüsterte Worte mit den Wachen; dann wurden sie eine Treppe hinaufgetragen. Das Knirschen zurückgezogener Riegel und das Klirren ausgeklinkter Ketten kündigten an, daß das Tor geöffnet wurde. Weitere Befehle ertönten, die Sänfte wurde ein Stück vorwärts getragen und dann abgesetzt. Die Tür- und Fenstervorhänge zu beiden Seiten der Sänfte wurden im gleichen Augenblick aufgezogen. Das grelle einfallende Licht blendete Richter Di so sehr, daß er vorübergehend die Augen schloß. Als er sie wieder öffnete, blickte er in das Gesicht eines Gardeoffiziers unmittelbar am Fenster. Hinter ihm standen sechs Gardisten in ihren goldglänzenden Rüstungen, das gezogene Schwert in der Hand. Der Offizier sagte kurz angebunden zu dem Mädchen:
    »Alles in Ordnung mit Ihnen, Fräulein.« Und zum Richter: »Nennen Sie Namen, Beruf und Zweck des Besuchs!« »Ich bin Doktor Liang Mo. Lady Hortensie, Oberhofdame Ihrer Kaiserlichen Hoheit, hat mich zu sich gerufen.«
    »Steigen Sie bitte aus!«
    Zwei Gardisten durchsuchten den Richter schnell und fachmännisch. Sie tasteten sogar das Innere seiner Stiefel ab und brachten sein Ausweispapier zum Vorschein. Der Offizier inspizierte es. »In Ordnung. Sie bekommen es zurück, wenn Sie uns verlassen, mein Herr. Das Kästchen des Doktors, bitte, Fräulein!« Der Offizier öffnete das flache Kästchen und durchwühlte mit seinem dicken Zeigefinger den Inhalt. Dann gab er es dem Richter zurück und streckte seine Hand nach der Kalebasse aus. Er entkorkte sie, schüttelte sie, um zu prüfen, ob sie nicht vielleicht einen kleinen Dolch enthielt, und gab sie zurück. »Sie können jetzt in die Palastsänfte umsteigen.«
    Er bellte einen Befehl. Vier Träger in prächtigen Seidenlivreen eilten herbei und führten eine elegante Sänfte mit vergoldeten Schäften und Brokatvorhängen mit sich. Nachdem der Richter und die junge Frau eingestiegen waren, bewegte sich der Zug lautlos über den mit Marmor ausgelegten Innenhof, allen voran der Offizier. Der weitläufige Hof war von unzähligen Seidenlampions auf hohen rotlackierten Ständern hell erleuchtet. Ein paar Dutzend Gardisten, alle in kompletter Rüstung mit Armbrüsten und Köchern voller langer Pfeile, schlenderten dort umher. Der nächste Hof war ruhig; zwischen den schweren Säulen, die die offenen Galerien säumten, huschten Höflinge in fließenden blauen Gewändern hin und her. Richter Di deutete auf die Lotusteiche und murmelnden Wasserläufe.
    »Das ganze Wasser kommt wohl aus dem Fluß, nehme ich an?« »Darum heißt es ja auch Wasserpalast«, sagte das Mädchen schnippisch.
    An einem vergoldeten doppelten Gittertor hielten zwei Wachen mit langen Hellebarden die Sänfte an. Nachdem der Offizier den Zweck des Besuchs erklärt hatte, marschierte er davon. Die Wachen schlössen die Vorhänge und befestigten sie an der Außenseite. Die beiden Insassen befanden sich wieder im Dunkeln.
    »Leuten von draußen ist es nicht gestattet, die Anlage des Inneren Palastes zu sehen«, ließ sich das Mädchen herab zu erklären.
    Der Richter erinnerte sich, daß der Wasserpalast auf der Karte in Hauptmann Sjus Büro durch ein weißes Quadrat dargestellt war. Die Behörden waren überaus vorsichtig mit ihren Sicherheitsmaßnahmen. Er versuchte, sich den Weg einzuprägen, den sie nahmen, verlor aber bald die Übersicht über all die Ecken, um die sie bogen, und all die Treppen, die sie hinauf- und hinabgetragen wurden. Schließlich wurde die
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