Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
Vom Netzwerk:
konnten, und nachdem er eine hohe viereckige Kappe aus schwarzer Gaze auf den Kopf gesetzt, sein Schwert und die Kalebasse an sich genommen hatte, ging er zur Halle zurück.
    Der Gehilfe führte ihn nach oben in ein kleines, aber sauberes Zimmer und entzündete die Kerzen auf dem Tisch. Er versprach dem Richter, daß sein Abendessen bald kommen würde. Richter Di öffnete das Fenster. Der Regen hatte aufgehört; ein heller Mond breitete sein silbriges Licht über die glitzernden, nassen Dächer der Stadt. Ihm fiel auf, daß der Garten hinter der Herberge einen etwas verwahrlosten Anblick bot. In der Mitte standen ein paar dürre Bäume und ein Gewirr von Sträuchern; dahinter war ein niedriges Lagerhaus an die Rückwand gebaut. Das Tor zu der engen, schmalen Gasse hinter der Herberge stand halb offen. Rechts im Hof befanden sich die Ställe, die ihn daran erinnerten, daß er dem Knecht am nächsten Tag auftragen mußte, sein Pferd vom Hufschmied zu holen. Der vom linken Flügel kommende wirre Lärm gerufener Befehle und klappernder Teller verriet, daß dort die Küche lag. In jener Ecke des Hofes befand sich ein notdürftig angelegter Hühnerauslauf, vielleicht die einträgliche Freizeitbeschäftigung eines der Köche. Er drehte sich um, als es an der Tür klopfte.
    Angenehm überrascht, sah er ein schlankes junges Mädchen eintreten. Sein langes blaues Gewand wurde in der wohlgeformten Taille von einer roten Schärpe gehalten, deren quastenverzierte Enden auf den Boden herabhingen. Während es das Tablett mit dem Abendessen auf den Tisch stellte, sprach der Richter freundlich: »Ich habe Sie auf dem Kai gesehen, mein Fräulein. Sie hätten nicht hingehen sollen, denn es war ein schrecklicher Anblick.« Sie warf ihm einen schüchternen Blick aus ihren großen leuchtenden Augen zu.
    »Gastwirt Wei hat mich mitgenommen, Herr. Der Hauptmann sagte, daß zwei Verwandte notwendig seien, um den Toten offiziell zu identifizieren.«
    »Aha, ich verstehe, Sie sind kein einfaches Dienstmädchen.«
    »Ich bin eine entfernte Nichte von Gastwirt Wei, Herr. Vor sechs Monaten, nachdem meine Eltern gestorben waren, nahm Onkel Wei mich als Hilfe in den Haushalt. Und da die Mädchen heute ganz aus dem Häuschen sind wegen dem, was unserem Kassierer zugestoßen ist...»
    Sie schenkte ihm eine Tasse Tee ein, wobei sie den rechten langen Ärmel mit ihrer linken Hand in einer natürlichen, anmutigen Geste nach oben hielt. Jetzt, da er sie im Licht der Kerzen richtig sehen konnte, stellte er fest, daß es nicht nur ihre Schönheit war, die sie so anziehend machte. Sie hatte etwas Bezauberndes an sich, das schwer zu erklären war. Während der Richter sich an den Tisch setzte, bemerkte er beiläufig:
    »Das ist ein schönes, altmodisches Bad, das Sie da unten haben. Ich traf dort einen der anderen Gäste, einen Herrn Lang. Wohnt er schon lange hier?«
    »Erst seit zwei Wochen, Herr. Aber er ist ein regelmäßiger Besucher. Was auf der Hand liegt, denn er besitzt ein eigenes Seidengeschäft hier in der Innenstadt. Ein sehr wohlhabender Mann, er reist immer mit wenigstens acht Gehilfen und Assistenten. Sie haben unseren besten Flügel, im unteren Stockwerk.« Sie ordnete die Teller und Schüsseln auf dem Tisch, und der Richter nahm seine Eßstäbchen auf.
    »Auf dem Kai hörte ich Herrn Wei sagen, der unglückliche Kassierer habe ihm zwanzig Silberstücke gestohlen.«
    Sie rümpfte die Nase.
    »Vielleicht existierten jene Silberstücke nur in der Phantasie meines Onkels, Herr! Er hoffte, diese Summe von den Behörden ersetzt zu bekommen! Tai Min war kein Dieb. Er war ein einfacher, liebenswürdiger Junge. Warum haben die Räuber ihn nur so schrecklich mißhandelt? Tai hatte nie viel Geld bei sich.«
    »Aus reiner Bosheit, fürchte ich. Offenbar hatten sie erwartet, daß er als Kassierer eine große Summe bei sich trüge. Kannten Sie ihn gut?«
    »Oh ja, wir fuhren oft zusammen auf den Fluß hinaus, um zu angeln. Er war hier geboren und aufgewachsen, kannte jeden Winkel am Flußufer!«
    »Waren Sie, äh... gut mit ihm befreundet?«
    Sie lachte leise und schüttelte den Kopf.
    »Tai Min hatte meine Gesellschaft nur deshalb gern, weil ich ganz gut mit einem Boot umgehen kann. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er kaum von meiner Existenz Notiz genommen, denn er war völlig in Anspruch genommen von ...« Sie brach plötzlich ab und biß sich auf die Lippen. Dann zuckte sie die Achseln und fuhr fort: »Nun, da der arme Tai tot ist, kann ich es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher