Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
Vom Netzwerk:
Ihnen ja ruhig erzählen. Der Kassierer war nämlich bis über beide Ohren in meine Tante verliebt.«
    »Ihre Tante? Sie muß viel älter gewesen sein als er!«
    »Das war sie, ungefähr zehn Jahre, glaube ich. Es ist aber nie etwas zwischen ihnen gewesen. Er betete sie aus der Ferne an! Und sie machte sich nichts aus ihm, denn sie brannte mit einem anderen Mann durch, wie Sie vielleicht gehört haben.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wer der Mann war?«
    Sie schüttelte heftig ihren kleinen Kopf.
    »Meine Tante ist bei ihrer Affäre sehr geschickt vorgegangen; ich hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, daß sie meinem Onkel untreu sein könnte. Als er uns erzählte, daß sie ihn wegen eines anderen Mannes verlassen habe, traute ich kaum meinen Ohren. Sie war mir immer als eine so ruhige, freundliche Frau erschienen... viel besser als mein Onkel Weil« Sie warf ihm einen schnellen, taxierenden Blick zu und sagte dann mit einem schwachen Lächeln: »Man kann sich so schön mit Ihnen unterhalten, Herr! Vielleicht liegt es daran, daß Sie ein Doktor sind.«
    Die letzte Bemerkung ärgerte den Richter unerklärlicherweise. Er stellte die erstbeste Frage, die ihm in den Sinn kam:
    »Da der Kassierer Ihre Tante so sehr bewunderte, muß er doch schrecklich unglücklich gewesen sein, als sie mit einem anderen Mann davonlief, meinen Sie nicht auch?«
    »Nein, er war überhaupt nicht traurig.« Nachdenklich strich sie sich über das Haar. »Eigentlich merkwürdig, wenn man es sich recht überlegt.«
    Richter Di runzelte die Stirn.
    »Sind Sie ganz sicher? Solche anhaltenden, rein gefühlsmäßigen Bindungen hinterlassen bei einem Mann oft tiefere Spuren als eine kurze, leidenschaftliche Affäre.«
    »Völlig sicher. Einmal habe ich ihn sogar dabei überrascht, wie er ein Liedchen vor sich hin summte, während er die Rechnungen schrieb.«
    Der Richter nahm ein Stückchen Salzgemüse auf und kaute es bedächtig. Frau Wei hatte ihre junge Nichte erfolgreich hinters Licht geführt. Der Kassierer war natürlich ihr Liebhaber gewesen. Sie war allein in das Dorf gegangen, das auf der bei Tai Mins Leiche gefundenen Karte rot markiert war. Sie hatten verabredet, daß der Kassierer ein paar Wochen später nachkommen würde. Aber Straßenräuber hatten ihn unterwegs überfallen und ermordet. Nun wartete seine Geliebte vergeblich im Dorf der zehn hügeligen Meilen auf ihn. Er würde diese Fakten Hauptmann Sju berichten, damit er sie an den benachbarten Bezirksrichter weitergeben konnte. Jeder nahm an, daß Tai von Räubern ermordet worden war, aber es könnte alles noch viel komplizierter sein.
    »Wie, was haben Sie gesagt?« »Ich fragte, ob Sie hier einen Patienten besuchen wollen, Herr.« »Nein, ich mache nur Urlaub. Hatte vor, ein wenig zu angeln. Sie müssen mir sagen, wo es sich vielleicht lohnt.«
    »Ich werde sogar noch mehr tun! Ich kann Sie in unserem Boot selbst den Fluß hinauffahren. Heute muß ich den Mädchen helfen, aber morgen habe ich frei.«
    »Das ist furchtbar lieb von Ihnen. Wollen mal sehen, wie das Wetter wird. Wie heißen Sie übrigens?«
    »Man nennt mich Farn, Herr.«
    »Gut, Farn, ich will Sie nicht von Ihren Pflichten abhalten. Danke vielmals!«
    Er verzehrte sein Mahl mit Genuß. Als er damit fertig war, trank er langsam eine Tasse starken Tee und lehnte sich dann in heiterer und gelöster Stimmung in seinem Stuhl zurück. In dem Zimmer unter ihm spielte jemand sehr gefühlvoll auf einer Mondgitarre. Die nur schwach zu hörende, verträumte Melodie hob die Stille im übrigen Haus hervor. Der Richter lauschte eine Weile der Melodie, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Als die Musik endete, richtete er sich auf.
    Er entschied, daß seine Befürchtungen hinsichtlich Hauptmann Sju und seiner Motive der Müdigkeit zuzuschreiben waren, die der lange Ritt durch den Wald ausgelöst hatte. Warum sollte der Hauptmann nicht wirklich an der Meinung eines Außenstehenden über die Situation am Ort interessiert sein? Und was die sorgfältigen Vorkehrungen für seinen Decknamen betraf, schön, er wußte, daß Geheimdienstleute immer Vergnügen an solchen Details fanden. Er selbst würde jetzt genauso gründlich sein! Mit einem Lächeln erhob er sich und ging zum Wandtisch. Er öffnete das Lackkästchen, das sein Schreibmaterial enthielt, wählte ein Blatt guten roten Papiers aus, faltete es und riß es in sechs längliche Stücke auseinander. Er tauchte den Schreibpinsel in die Tusche und malte auf jede der improvisierten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher