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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast
Autoren: Sandra Lüpkes
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war leitender Schiffsmechaniker und trug über seinem runden Bauch einen grauen Zweireiher. Lässig lehnte er an der holzverkleideten Wand und polierte mit einem Taschentuch die Scheiben der verschiedenen Messinstrumente, die in das Mahagoniholz eingelassen waren. Man sah ihm an, dass er aus der Arbeiterschaft stammte und kein Büromensch war. Kräftige Hände, die keinen Moment ruhig in die Hosentaschen gesteckt wurden. An einem Arm trug er einen Verband, der die Beweglichkeit jedoch nicht einzuschränken schien. «Ich habe das große Los gezogen», erklärte er Leif. «Ein Jahr lang werde ich an Bordbleiben, als Garantieleistung sozusagen. Wenn in diesem Zeitraum irgendetwas nicht so läuft, wie es laufen sollte, was hier auf der Werft natürlich keiner erwartet, so mache ich die Sache wieder klar.»
    «Was ist mit Ihrem Arm passiert?», fragte Leif mit gewohnter Neugierde.
    Grees blickte auf die Bandage, als erinnerte er sich jetzt erst, dass er sie überhaupt trug. «Ach, das meinen Sie? Ist schon ein paar Wochen alt. Ich habe mir bei der Arbeit Verbrennungen zugezogen. Ausgerechnet am linken Arm, ich bin nämlich Linkshänder. Sah scheußlich aus und wird wahrscheinlich nicht viel besser aussehen, wenn der Verband wieder runter ist. Tut aber nicht mehr weh.»
    Dann wandte er sich wieder seinen Reinigungsarbeiten zu.
    Wesentlich beeindruckender war hingegen in seiner weißen Uniform der Kapitän Jelto Pasternak. Selbst Carolin, die sonst selten so etwas wie Ehrfurcht empfand – weder ihrem alten Schuldirektor noch ihrem heutigen Chefredakteur gegenüber   –, fühlte sich in Gegenwart des Schiffführers klein und mädchenhaft. Pasternak hatte einen schwarzen Vollbart, einen hellblauen Weltumseglerblick und musste beinahe zwei Meter groß sein. Doch obwohl er hervorragend zu diesem imposanten Schiff zu passen schien, war er lediglich für die Überführung der
Poseidonna
zuständig. Ab Eemshaven würde ein amerikanischer Kapitän das Steuer übernehmen. Beinahe schade drum, dachte Carolin und lichtete den Bilderbuchseemann ab, als er gerade gedankenverloren aus dem Fenster schaute, obwohl vom großen, weiten Meer noch nicht viel zu sehen war.
    Sinclair Bess, der Reeder aus Amerika, entpuppte sich als dicker, schwarzer Mann, der ebenso dicke, schwarze Zigarren paffte und seine freie Hand auf dem festen Hintern einerschlanken Frau platzierte. Daneben und ringsherum glänzend gekleidete Damen in hochhackigen Schuhen, doch sie waren lediglich die Begleiterinnen. Wahrscheinlich die Frau Pasternak, die Frau Grees, die Frau Perl, Frau Schmidt-Katter, vielleicht Mrs.   Sinclair Bess. Sie tranken Champagner und lächelten schmallippig.
    «Doktor Perl ist der Betriebsarzt», antwortete Leif, der sich gerade eine akustische Notiz im Diktiergerät gemacht hatte. Leif stand wie Carolin etwas abseits bei der Tür, durch die nun von hungrigen Augen begutachtet wurde, denn links neben dem Seekartentisch bei der Tür war ein Buffet hergerichtet, das erst wenn dieser Perl endlich durch diese Tür trat, eröffnet werden würde.
    «Warum warten wir auf ihn?»
    «Soweit ich informiert bin, ist er ein enger Freund vom Werftleiter Ludger Schmidt-Katter. Die Frauen der beiden sind zudem Schwestern. Alles irgendwie eine Sippe hier in der Provinz.»
    «Es ist eine merkwürdige Provinz», stellte Carolin fest.
    «Weshalb?»
    «Weil hier mitten auf dem Land Schiffe gebaut werden, und zwar riesige Brecher. Warum ist die Werft nicht direkt an die Nordsee nach Emden oder so gegangen? Oder hat man Fördergelder für die neuen Bundesländer mitgenommen und einen Produktionszweig an die Ostsee verlegt?» Carolin schaute durch die Fenster nach draußen. Es dämmerte schon, doch sie konnte noch die Kräne und Hallen der Schmidt-Katter-Werft ausmachen, dahinter ein paar rote Wohngebäude, ein V W-Autohaus , den eckigen Turm von Leer, auf dem neben Werbung für Tee und Telekom der Schriftzug «Das Tor Ostfrieslands» prangte. Sie konnte von hier oben viel überblicken, doch vom Meer war nichts zu sehen. Sie hatte eher das Gefühl, sich auf der Büroetageeines Hochhauses als auf der Brücke eines Schiffes zu befinden. «Tradition und Arbeitsplätze.» Carolin lauschte auf Leifs Gemurmel und bemerkte, dass er ebendiese beiden Begriffe gleich zweimal hintereinander ins Mikrophon sprach. Wichtigtuer!
    «Die Familie Schmidt-Katter kam bereits Mitte des 19.   Jahrhunderts hier ins südliche Ostfriesland. Soweit es die Familienchronik hergibt, waren sie
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