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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast
Autoren: Sandra Lüpkes
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eher farblose Gestalt abgab. Immerhin war sie einen Kopf kleiner, dunkel-, glatt- und kurzhaarig. TypFotografin eben: eine praktische Cordhose mit ausgebeulten Taschen und ein weißes Hemd.
    «In welchem Rahmen findet dieser Empfang denn statt?», fragte sie, um überhaupt mal wieder wahrgenommen zu werden.
    «Wenn Sie Champagner mögen, können Sie sich auf heute Abend freuen, und satt werden Sie auf jeden Fall werden, Frau   … Wie war doch gleich Ihr Name?»
    «Carolin Spinnaker», antwortete Leif statt ihrer. «Ich würde mich an deiner Stelle gut mit ihr verstehen, Ebba. Sie macht, wenn sie will, hervorragende Bilder.»
    Beide schauten Carolin an, die sich fühlte wie ein dressierter Hund, dessen Herrchen mit dem «Pfötchen geben» prahlte.
    Er holte weiter aus. «Kennst du das Foto von dem kleinen Kind mit dem Schreibheft, das damals nach dem Pharmaskandal in Ostfriesland um die Welt ging? Mit dem Mädchen, das so unschuldig auf dem Bleistift herumkaut und in der anderen Hand eine Pillendose umklammert hält?»
    «Natürlich kenne ich das. Es war auf allen Titelblättern!»
    «Es ist von ihr!»
    Nun starrten die schönen, dunklen Augen der Ebba John bewundernd zu Carolin. So ging es ihr ständig, wenn irgendjemand
das Foto
erwähnte. Carolin verlor grundsätzlich keine Silbe darüber, denn Vorschusslorbeeren waren ihr ein Gräuel. Sie wusste, sie war eine gute, wenn nicht sogar sehr gute Fotografin. Nur leider hatte sie schon ganz zu Beginn ihrer Karriere den Höhepunkt erreicht und alles, was danach kam, schien ihr irgendwie mau, auch wenn es eigentlich gut war. Es gab ein paar Fälle, in denen Fotografen durch eine einzelne Aufnahme in den Olymp der Fotografie gehievt wurden. Das Bild von dem über den Stacheldraht flüchtenden DD R-Grenzsoldaten Conrad Schumann war soein Beispiel. Oder das Albert Einstein-Porträt mit der ausgestreckten Zunge, das ein Zufallsschnappschuss auf einer Geburtstagsparty war, nicht zu vergessen Marilyn Monroe und das Lüftungsgitter.
    Dass ausgerechnet ihr ebenfalls ein solcher Erfolg zuteil würde, hatte sie damals nicht geahnt. Sie hatte doch einfach nur auf den Auslöser gedrückt, als das blonde Mädchen so traurig schaute. Man hatte bei der Neunjährigen eine Veränderung der Blutgefäße im Gehirn festgestellt und dem hochintelligenten Kind nicht mehr viel Zeit gegeben. Schuld an diesem Schicksal war die verantwortungslose Testreihe eines Medikamentenherstellers gewesen. Das Mädchen hatte einem Kollegen ihre Geschichte erzählt. Carolin hatte nur dabeigesessen und im richtigen Moment fotografiert.
    Drei Wochen später war das Mädchen tot und Carolin ein Star. Die Tragik des Bildes war ihr zum glücklichen Vorteil geworden. In diesen Momenten hasste sie ihren Job.
    «Wann genau ist der Empfang?», fragte Carolin, die endlich ein anderes Thema anschneiden wollte.
    Ebba John schaute auf ihre silberne Uhr. «In zwei Stunden, also um sieben. Ich werde euch erst einmal eure Kabinen zeigen   … Oh, Entschuldigung, Frau Spinnaker. Ich sage einfach
euch
…»
    «Kein Problem!»
    «Da ich Leif eben schon seit einer Ewigkeit kenne, rutscht mir diese vertraute Anrede einfach so über die Lippen   …»
    «Wie gesagt: Kein Problem!»
    «Das ist schön. Ich bin Ebba.» Wieder reichte sie ihre schlanke Hand, noch immer waren die Finger kühl.
    «Carolin.» Eigentlich war diese Frau nicht der Typ, mit dem sich Carolin gern duzte. Doch die Zeit hier an Bord war absehbar kurz, und allzu oft würden sie sich ohnehinnicht über den Weg laufen, zumindest wenn es nach Carolin ging.
    Sie liefen los. Carolin schulterte ihren Seesack und hoffte, sich den Weg einprägen zu können. Sie gingen nur ein Deck höher und betraten dann die Kabinengänge, die identisch mit dem Labyrinth ein Stockwerk tiefer zu sein schienen.
    «Ganz schön verwirrend, nicht?», sagte Ebba lächelnd. Ihre Stimme war nun angenehm warm und passte nicht zum unterkühlten Händedruck. «Jedes Deck bekommt eine andere Farbe, sodass die Passagiere leichter erkennen, wo sie sich gerade befinden. Auch kleine Kinder können sich dann zurechtfinden. Dieses Deck 7 wird gelb.»
    Noch war hier nichts gelb. Kabel hingen herunter. Die Wände waren gipsgrau und unfertig. Genau wie eben. Es ging nach links. Carolin konzentrierte sich. Merken, merken, merken, links und dann durch eine schwere Glastür, anschließend nach der dritten Tür noch einmal links. Und wenn man zurück will, alles umgekehrt. Rechts, Glastür, rechts.
    «Wir
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