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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Erinnerung an Edda hinter der geschwungenen Tintenschrift verschwunden.
    Der wohlgekleidete Mann im dunklen Überrock stand an der Kaimauer und schaute in den Nebel hinaus. Es war so still, dass er weit hinten die kleinen Wellen an die Bordwände der Halligschiffe schwappen hörte. Eigentlich hieß er Detlef Fedder und war Sohn eines Pfennigmeisters aus Friedrichsstadt; doch alle nannten ihn nur Dintefaß (Tintenfass), weil er die Feder so trefflich gebrauchen konnte.
    Ja, das ist eindeutig Storms Stil, denkt Peters bei sich. Ihm läuft unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken. Als er weiterliest, flimmern vor seinen Augen schon die Schlagzeilen der Zeitungen: Roman von Theodor Storm entdeckt!
    »Es bedarf wohl äußerlich der Enge, um innerlich ins Weite zu gehen. Es ist an der Zeit den ewigen Novellisten hinter sich zu lassen. Ein Meisterwerk würde ihm, dem alten Detlef Dintefaß, einfach gut zu Gesicht stehen. In seinen ernsten Augen, in welche sich seine ganze verlorene Jugend gerettet zu haben schien, lag ein plötzlicher Entschluß. Er wurde eifrig und stieß den langen Rohrstock mit dem goldenen Knauf kurz auf den Gehstein. Ein bitteres Lächeln umflog seinen Mund, während er mit Andacht auf alles schaute, was im letzten Hauch des Tages ausgebreitet lag. In der Krämergasse, die er zum Rathausmarkt hinaufging, leuchteten die Lichter aus den Fenstern ihm den Weg. Vor den Giebelhäuschen gleich an der Ecke standen granitne Pfeilersteine, die mit schweren eisernen Ketten verbunden waren. Er liebte die einfachen und sittenstrengen Menschen seiner kleinen Stadt, die jetzt sicher vor dampfendem Tee um ihre Tische saßen.«
    Peters kann nicht mehr weiterlesen und legt die durch des Dichters Hand geweihten Schriftstücke wieder zwischen die Leinendeckel, verschnürt die Bänder und verstaut die Kostbarkeit – seine Kostbarkeit – wie eine heilige Reliquie wieder in der Schrankschublade. Nun heißt es weiterhin kühlen Kopf bewahren, beruhigt er sich innerlich. Es muss erst mal Gras über die Sache mit Edda wachsen.
    Unwillkürlich sieht er vor seinem inneren Auge wieder, wie er heimlich die Schlaftabletten in den Kaffee fallen ließ. Wie er Eddas schlaffen Körper ins Badezimmer zog, direkt neben die Wanne. Wie er beobachtete, ob sie sich noch rührte. Wie er den Wasserhahn aufdrehte. Wie ihm die Idee kam, Edda ans Meer zu schaffen, damit man glauben würde, dass sie ertrunken war. Wie er in der Küche nach Salzpackungen stöberte und den Inhalt im Wasser auflöste. Wie er die Frau am Hosengürtel packte und sie über den viel zu hohen Wannenrand quälte, ihren Kopf dann solange unter Wasser drückte, bis keine Luftblasen mehr aus ihrem Mund aufstiegen.

2
    Swensen erwacht wie immer kurz bevor der Wecker klingelt. Fünf vor halb sechs. Er kann sich auf seine innere Uhr verlassen. Vom Sturm und Regen draußen ist heute nichts mehr zu hören.
    Vielleicht können wir ja endlich einen Hubschrauber einsetzen, denkt er und lässt die letzten beiden Tage noch einmal Revue passieren.
    Am Samstagmittag war der Einsatzwagen im Watt vor St. Peter-Ording gewesen. Doch die Beamten konnten nichts Verdächtiges finden und auch kein Anlieger hatte etwas Ungewöhnliches gesehen. Obwohl das Wetter sich genauso mies wie am Vortag präsentierte, war er am Sonntag selbst noch einmal vor Ort gewesen. Sein Marsch durchs Watt förderte aber genauso wenige Erkenntnisse ans Licht wie der seiner Vorgänger. Trotzdem war er hinterher zufrieden. Er hatte immerhin zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: e rstens überzeugte er sich, dass wirklich nichts übersehen worden war und zweitens konnte er die Suche nach der Leiche vorschieben, um nicht noch mal auf Annas Theodor-Storm-Symposium erscheinen zu müssen. Seinem schlechten Gewissen hatte er schon vor der Abfahrt zu der Wattermittlung vorgebeugt und sich mit ihr beim gemeinsamen Lieblings-Italiener zum Abendessen verabredet. Und um sie zusätzlich milde zu stimmen, hörte er dann auch geduldig alle ihre Geschichten von dem angeblichen Brief Fontanes an, mit dem Wraage die Existenz des Storm-Romans beweisen wollte. Allerdings war ihr Wunsch, die Nacht nicht mit ihm zu verbringen, eher ein Zeichen dafür, dass sie noch schmollte.
     
    Nach der kalten Dusche am Montagmorgen ist Swensen hellwach. Im Wohnzimmer entzündet er ein Räucherstäbchen, legt eine CD mit Mantras vom Lama Gyurme auf, zieht das Meditationskissen in die Mitte des Raums und versucht darauf den Lotossitz
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