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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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am Rand berührt. Das Motiv zeigt eine tote Frau aus mehreren Perspektiven, deren Körper von einer Sandverwehung zum größten Teil verdeckt wird. Einige Bilder zeigen das Gesicht. Es ist in einem schrecklichen Zustand, wird jedoch abgemildert, weil die Abzüge nur in schwarzweiß sind.
    »So was Greuliches hab ich noch nie gesehen«, äußert Stephan Mielke und betrachtet angeekelt die abgelichtete Leiche. »Wer kann jemanden nur so brutal zurichten?«
    »Wer sagt denn, dass sie ermordet wurde?«, widerspricht Jan Swensen.
    »Na, hör mal. Die Augen sticht sich jemand doch nicht selber aus!«
    »Das können genauso gut Vögel gewesen sein! Sieht meiner Meinung nach eher nach einer ahnungslosen Touristin aus, die sich zu weit ins Watt hinaus gewagt hat und dann von der Flut überrascht wurde. Vielleicht ist sie nur ganz banal ertrunken.«
    Mielke ist mit neunundzwanzig Jahren der Jüngste in der Abteilung. Sein Gesicht mit der schmalen Stirn und den kräftigen Backenknochen wirkt drahtiger als sein Auftreten.
    »Meinst du?«, fragt er überrascht und seine graublauen Augen pendeln unruhig hin und her. »Gut, dass du das sagst. Da fühl ich mich gleich besser. Ich bin nämlich etwas verunsichert was zu tun ist. Wollte schon die Kollegen von der Mordkommission Flensburg anrufen. Die wär’n doch schließlich dafür zuständig.«
    »Immer langsam mit den jungen Pferden. Erstmal brauchen wir eine richtige Leiche. Es wäre also von Vorteil so schnell wie möglich rauszukriegen, wo sie liegt, wenn sie sich überhaupt noch da befindet, bei dem Sturm da draußen.«
    Stephan Mielke blättert den Fotostapel durch und zieht eine Landschaftstotale heraus.
    »Hier, damit können wir wahrscheinlich den Fundort bestimmen. Das Foto muss vom Festland aufgenommen worden sein. Da ist im Hintergrund ein Leuchtturm zu sehen.«
    »Das ist Westerhever, der Leuchtturm von Westerhever. Das Bild wurde, soweit ich mich nicht irre, von St. Peter- Ording aus aufgenommen.«
    »Und was machen wir jetzt?« Stephan Mielke fährt sich mit einer Hand nervös über seinen Bürstenhaarschnitt, mit der anderen trommelt er auf der Stuhllehne und guckt hilfesuchend zu Swensen herüber.
    »Am besten, ich informiere erst mal die Einsatzzentrale, damit die einen Streifenwagen vor Ort schicken. Höchste Zeit, dass sich in Ording jemand umschaut. Und du guckst derweil im Computer nach, ob irgendwo eine Frau vermisst wird. Danach müssen Umschlag und Bilder ins Labor.«
    Wie auf Kommando springt Stephan Mielke auf und stürzt an seinen PC. Swensen nimmt das Telefon und tritt ans Fenster. Während er dem Beamten in der Einsatzzentrale mit knappen Worten die Situation schildert, sieht er in den schäbigen Hinterhof. Man hört den prasselnden Regen, der auf die Dächer der parkenden Streifenwagen trommelt, bis hier drinnen. Die zerspringenden Wassertropfen legen einen feinen Nebel über den Asphalt. Hinter der Ziegelmauer, die den gesamten Hof eingrenzt, stehen zwei uralte Eichen mit mächtigen Ästen. Die Zweige werden vom Sturm wie Streichhölzer hin und her gepeitscht. Als Stephan Mielke merkt, dass Jan Swensen bereits aufgelegt hat, aber weiterhin aus dem Fenster schaut, dreht er sich ungeduldig um.
    »Ist was?«
    »Ja, ich frage mich schon die ganze Zeit, warum uns jemand anonym Fotos von einer Leiche zuschickt, anstatt uns gleich telefonisch zu benachrichtigen?«
    »Meinst du, das war der Mörder?«
    »Mensch Stephan, noch wissen wir gar nicht ob es ein Mord ist. Gibt es einen Poststempel?«
    »Ja, der Umschlag ist in Hamburg eingeworfen worden.«
    »Hamburg? Wer fotografiert in St. Peter eine Leiche und schickt uns aus Hamburg die Abzüge? Ziemlich merkwürdig, oder?«
     
    * * *
     
    Hajo Peters merkt, dass ihm das Blut vor Aufregung in den Kopf steigt. Er hat die Statur eines Bodybuilders, breite Schultern, die bedrohlich die Nähte des Sweat-Shirt spannen. Mit seinen klobigen Fingern blättert er die Buchseiten einer Theodor-Storm-Biographie durch, bis er auf die Abbildung eines handgeschriebenen Briefes des Dichters stößt. Er betrachtet die einzelnen Buchstaben ausgiebig und öffnet dann die zerfaserten Bänder, die zwei alte Leinendeckel zusammenhalten. Dazwischen liegt ein Stapel vergilbter Blätter Papier. Wie ein rohes Ei entnimmt der bullige Mann den obersten Bogen und beugt sich darüber. Sein Stiernacken quillt aus dem Kragen. Mit ausgebleichter Tinte steht dort in forscher Handschrift: Detlef Dintefaß. Ein Roman von Theodor Storm und klein
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