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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter
Autoren: Hölderlin
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Ausprägung für alle Beziehungen stehen, die Hölderlin zu Männern unterhielt. Er liebte Männer, vor allem homosexuelle Männer. Sie besaßen wie er einen Gefühlshintergrund mit dominanter Mutter. Ihnen konnte er seine Zuneigung zeigen, ohne daß Vernichtungsängste hochgespült worden wären und die Fluchtmechanik in Gang setzten. In diesen Männerfreundschaften fand er den einzigen wirklichen Halt außerhalb der Familie.

V.
    Ein weiterer Vorzug des Romans besteht darin, daß Härtling das Zentrum von Hölderlins Wesen und Dichten nicht antastet. In einem Aufsatz mit dem Titel »Heimkunft«, den er 1986 geschrieben hat, gut zehn Jahre nach dem Hölderlin-Roman, spricht er von einem »magischen Dreieck«, markiert durch »Stift, Bursa, Turm«. Dieses magische Dreieck habe für Hölderlin alles umfaßt: »Resignation und Entwurf, Ende und Aufbruch«.
    Von einer ähnlichen Magie läßt Härtling Hölderlins Person umgeben sein. Er reiht die Krankheitssymptome zu einem immer heftiger anschwellenden Crescendo aneinander, er weicht jedoch jeder Versuchung aus, den Grund und die Ursache für die Erkrankung benennen zu wollen. Folglich enden auch bei deren Beschreibung die Bemühungen, ihn aus seiner Zeit heraus zu erklären. Hölderlin bleibt in seiner Krankheit der Entrückte, als der er uns seit jeher erscheint.
    Der angeschlagene Ton ist dabei bewußt schlicht gehalten: »Manchmal war er ohne Grund den Tränen nahe.« Diesen Ton hält Härtling bis zum Schluß durch; er nimmt, obwohl Hölderlin nach jedem Zusammenbruch noch anfälliger wird, an Dringlichkeit kaum zu: »Er hat die Welt, zu der er sprechen wollte, verlassen.« Zwischen den Zeilen klingt manchmal eine Tragik an, etwa wenn Hölderlins vergebliche Bemühungen geschildert werden, sich mit seinen Versen Gehör zu verschaffen. Immerhin sah er sich als Dichter aufgerufen, neue Wirklichkeiten zu schaffen. Aber daß ihm dies nicht gelang und welche psychischen Rückwirkungen das haben mochte, streift Härtling mit voller Absicht nur am Rande. Hölderlin soll auch in seiner Krankheit dem Alltag verhaftet bleiben, selbst wenn ihn die Anfälle immer weiter zerstören und ihn von seinen Freunden abschneiden.
    Indem Härtling nur beschreibt, geht von seinem Hölderlin die zu ihm gehörende Irritation aus. Woher kommt Hölderlins Unruhe? Warum wird er manchmal von einer Starre ergriffen und kann nur noch stumpf vor sich hinbrüten? Was bewegt ihn dazu, selbst zu Hause, umgeben vom vertrauten Kindheitsraum, an Abschied zu denken, kaum daß er angekommen ist? In Härtlings manchmal melancholisch-romantisch eingefärbtem Wortgebrauch zählt Hölderlin zu den rastlosen Wanderern, die sich und uns in ihrem Innersten ein Geheimnis bleiben. Wir fühlen uns immer wieder von neuem und immer wieder erfolglos herausgefordert, eine Lösung zu finden. In dieses Nachfragen, das zu keinem Ende führt, verwickelt Härtling die Leser von Anfang an.
    Dazu gehört, daß sich Härtling keineswegs davor drückt, von Hölderlins endgültigem Zusammenbruch zu sprechen. (Auch darin unterscheidet er sich beispielsweise von Bertaux, der Hölderlins mutmaßliche Schizophrenie leugnet und ihn bloß als unverstandenen Fremden sehen will.) Bei ihm ist Hölderlin mit Anfällen von Wut, Unruhe, Grübeleien geschlagen und fällt zunehmend aus dem Alltag heraus. Härtling bemüht sich, eine Vorstellung von dessen Verwahrlosungen zu geben, beispielsweise als Hölderlin aus Bordeaux zurückkehrte. Und je mehr diese Figur vom Verfall erfaßt wird, um so deutlicher arbeitet Härtling das nicht zu Fassende daran heraus. Er läßt Hölderlin auch im Elend zu seinem Recht kommen.
    Vielleicht kommt Härtling dem uns unbekannten Hölderlin am nähesten, wenn er gar nicht von der Krankheit spricht, sondern die Ruhe bewundert, die von den Gedichten ausgeht. An diesen Stellen im Roman berührt er vermutlich das innere Gefühl für Takt und Angemessenheit, das Hölderlin beim Schreiben gefunden hat und sich bewahrte, so lange es ging. Trotz seiner Niederlagen als Lehrer, als Liebender und trotz seiner Hemmung, sich den Aktionen seiner Freunde anzuschließen, behielt er eine bewundernswerte innere Unabhängigkeit. Wir erahnen, welche Kraft das Kunststück gekostet haben muß, durch und durch in seiner Zeit gelebt und sich als Dichter mit ihr dennoch nicht gemein gemacht zu haben. Es ist das bisher immer noch nicht ausreichend gewürdigte Verdienst des Romans, daß wir etwas von dieser verborgenen Stärke
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