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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter
Autoren: Hölderlin
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den Kinderbüchern auf Bücher übertragen läßt, die sich an Erwachsene richten.
    Allerdings stellt Härtling dieses einfache Erzählen vor Schwierigkeiten, die in seinen früheren Büchern nicht aufgetaucht sind. Er kann uns den Autor auf eine Weise vergegenwärtigen, in der das Erfundene höchst realistisch wirkt. Der Autor wird so in eine Intimität mit Hölderlin hineingezwungen, die er nicht besitzen kann. Wie aber lassen sich diese durch die Stillage noch begünstigten Scheingenauigkeiten vermeiden?
    Daß historisches Material biegbar ist, hat Härtling selber bis in alle Verzweigungen durchgespielt. Der Roman »Das Familienfest« kann wie eine Metapher auf das Erstellen von erfundenen historischen Wahrheiten gelesen werden. Mit großem Gestus entrollt das Buch ein ganzes Familienpanorama. Väter, Mütter, Söhne treten auf. Die Familie erhält einen Namen: Lauterbach, und einen Stammbaum, um ihre Entwicklung durch die Jahrhunderte besser nachzeichnen zu können. Doch von den Lauterbachs hat es niemanden je gegeben und dennoch hat der Roman eine große Wahrheit, denn es existierten viele, die wie die Lauterbachs lebten.
    Im »Hölderlin« ist Härtling auf eine Art des Erzählens gestoßen, die ihm den Umgang mit historischem Material erleichtert. Gleich den ersten Satz führt er nicht zu Ende und stellt klar, womit im folgenden nicht gerechnet werden kann und was erwartet werden darf: »Ich schreibe keine Biographie. Ich schreibe vielleicht eine Annäherung.«
    Der Hinweis ist keine Formsache. Damit Härtling den Quellen und sich selber beim Schreiben nicht dauernd Gewalt antun muß, hat er sich von der historischen Geschichtsschreibung, wie sie im letzten Jahrhundert entstanden ist und bis heute in den meisten publizierten Biographien ungebrochen weiterlebt, erst einmal losgesagt.
    Doch er stand nicht nur vor der Frage, wie aussagekräftig die Quellen sind. Unabhängig davon, wie genau Hölderlins Lebensumstände zu recherchieren waren, eines wußte er nicht: wie sich Hölderlin gefühlt hat. Ein Beispiel: Was empfand er, als sein leiblicher Vater und kurz darauf sein Stiefvater starben? Diese Tode hatten großen Einfluß auf sein Leben, aber welchen? Was würde es besagen, wenn das Wort Trauer fiele, um Hölderlins Empfindungen in der ersten Zeit zu umreißen? Nicht viel, denn Härtling weiß dann noch immer nicht, wie dieses Gefühl beschaffen war. Dies gilt auch, wenn er sich vorzustellen versucht, worin für Hölderlin der Verlust der beiden Väter bestanden haben mag. Härtling ist von Hölderlins Innerlichkeit abgeschnitten, da hilft ihm auch das gewissenhafteste Studium des überlieferten Materials nicht weiter. Aber genau auch auf die Vergegenwärtigung dieser Gefühlswelt kam es Härtling in seinem Roman an.
    Um sich durch solche Schwierigkeiten nicht vollkommen blockieren zu lassen, entwickelt Härtling eine spezielle, eigene Erzählweise. Er trennt klar zwischen Erfundenem und Gefundenem und unterbricht dazu den Fluß seiner Erzählung durch Einschübe der unterschiedlichsten Art – eine Vorgehensweise, die für das biographische Erzählen neu ist. Er berichtet von Hölderlin und schildert parallel, wie er dazu kam, genau das zu erzählen und nichts anderes. Diese beiden Stränge werden kunstvoll miteinander verbunden, und auf diese Weise entsteht ein Geflecht aus Bericht, Kommentar und 13 Geschichten, die deutlich als »erfunden« kenntlich gemacht sind. Der Leser wird vom Autor darauf hingewiesen, wann er sich auf Quellen stützen konnte und wann er ohne Material auskommen mußte. Fiktion als Fiktion anzukündigen und darüber zu schreiben, wie diese Fiktion zustande gekommen ist, darin liegt Härtlings Erzählprinzip und das Neue seines »Hölderlins«. Auf diese Art zu erzählen wird Härtling noch häufiger zurückkommen.
    Ebenfalls neu ist, daß Härtling aus Hölderlin – entgegen vielen konservativen Versuchen in der Nachkriegszeit, ihn von allem Weltlichen abzusondern – eine politisch fortschrittliche Figur macht, wenn auch zu einer widersprüchlichen. Härtling läßt sich durchaus vom politisch aufgeputschten Klima der 70er Jahre anstecken – aber nur bis zu einem gewissen Grad. In einen Aktivisten – daran hindert ihn seine eigene Furcht vor der Aktion – verwandelt er ihn nicht. Für Härtling entwickelt sich Hölderlin zu einem Dichter, der abstinent bleibt, wenn politisches Handeln von ihm gefordert wird, für den aber Freiheit zum kostbarsten Sehnsuchtsgedanken und Friede
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