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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Autoren: Walter Kempowski
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gewesen. Sie kämen aus Israel, und sie hätten im KZ gesessen, und ob ich nicht eine Spende, eine größere Spende geben will.
    Ich habe gesagt: » Nein!« Und zwar, weil die beiden so furchtbar aufdringlich waren, wie so früher die Juden dargestellt wurden.
    Ich sagte: » Nein!«
    Und da war aber was los! Da haben sie mich beschimpft, ich wär’ ein Nazi, und ich müßte an die Wand gestellt werden.
    Landwirt
    KZ ler? Da gab’s– wie überall– so ’ne und so ’ne. Manche kamen still wieder und ordneten sich ein. Schön, eine Rente werden sie gekriegt haben, aber, die waren eben froh, daß sie das hinter sich hatten.
    Andere rissen die Fresse auf, wo sie nur konnten, dicke, vollgefressene Kerle. Die hat der Russe gleich eingesetzt als Bürgermeister und Chefs. Aber die haben sich nicht lange gehalten, die stolperten dann irgendwie.
    Durch dies unbescheidene Auftreten haben sich viele KZ ler alles verdorben. Die hielten sich für was Besseres.
    Studienrat
    Ich hab’ im Herbst 45 jemand getroffen auf’m Bahnhof, der löffelte wie ich die Wassersuppe, und am Handgelenk hatte er ein Armband, da stand » Mauthausen« drauf. Ich hab’ ihn gefragt: » Was war das für ’ne Einheit?«– Der hätt’ mir bald ’n paar gescheuert.
    Hausfrau
    Man behauptet immer, sämtliche Juden sind umgebracht worden. Das stimmt gar nicht. 1947 kam ich nach Belsen, da lebten immer noch jüdische Familien in den Baracken. Die Leute haben mir ihre Bildchen gezeigt, von ihren Angehörigen, die alle tot waren. Es war erschütternd, und ich war echt traurig. Aber diese Juden da sahen ganz gut aus. Das war ja aber auch nach dem Krieg.
    Hausfrau, 1909
    Wir hatten in der Klasse sechs Jüdinnen, Zahnarzt war der eine Vater, so was, begüterte Leute waren das. Von der einen weiß ich noch, daß sie heute in Amerika lebt und eine andere in Australien. Auf dem Klassentreffen hab’ ich das gehört. Aber die anderen, nee.
    Angestellter
    Mein Vater war Nationalsozialist, deshalb haben wir nichts gehört. Mein Vater hätt’s nicht geglaubt– also von daher. Eben nach dem Krieg, da wurden dann die Schulkameraden abgeholt, und das war dann ja auch KZ .
    Beamter
    Man muß ja denken, daß es in Deutschland ein Übermaß an Sadisten gibt, wenn man hört, was alles passiert ist.
    Eine Frau
    Mein Sohn war jetzt als Austauschschüler ein Jahr in Amerika. Das ist mir sehr schwer geworden. Ich habe manchmal dran denken müssen, im Krieg, wie den Eltern wohl zumute gewesen ist, wenn ihre Jungen an die Front fuhren.
    Oder im KZ , wenn einem das Kind weggenommen wird, und man sieht es nie wieder.
    Taxifahrer
    Wenn heute noch Leute sitzen, die sich an den Juden vergangen haben, dann halte ich das für verfehlt. Dreißig Jahre danach noch Leute sitzen zu lassen… Ich weiß ja nicht.
    Hausfrau, 1925
    Daß ich nie die Möglichkeit gesucht habe nachzufragen und mich zu erkundigen… das hab’ ich nach 1945 als persönliche Schuld empfunden.
    Schülerin, 1955
    Bei uns in der Geschichtsstunde hat der Lehrer mal geheult. Er hat vorgelesen, wie die Juden in die Gaskammern kamen, da vergast wurden und noch nach dem Tode alle aufrecht standen, so nackend, ineinander verkrampft. Und als er das vorgelesen hat, da hat er geweint, konnte nicht weiterlesen. Da hab’ ich mir das Buch genommen und weitergelesen und habe auch geheult.
    Und die andern saßen völlig starr da.
    Händler
    Ich denke manchmal, es hätte eine feurige Faust aus dem Himmel fahren müssen, auf uns Deutsche, und uns zermalmen müssen. Das hätte mich nicht gewundert.

Nachwort
    Die » Deutschen Antworten«, die Walter Kempowski auf seine Frage » Haben Sie davon gewußt?« erhalten und aufgezeichnet hat, sind so etwas wie ein Archiv– man kann darin nachschlagen, nachlesen, sich dabei an die Rolle erinnern, die wir, mit Wirkung bis heute, in den nationalsozialistischen Zeitgeschichtsjahren auf uns genommen, uns haben zumuten, haben auferlegen lassen. Leider gehört das Schlußkapitel dazu: » Die hielten sich für was Besseres.« Es ist nicht der wesentliche Teil, er deutet jedoch den Grund an, dessentwegen die Aussagen veröffentlicht werden: Diese Vergangenheit ist noch immer nicht verarbeitet. In zweifacher Weise macht sie uns nach wie vor zu schaffen. Versucht man, sich ins klare über sie zu kommen, unsere Beteiligung, unser Mittun, unsere Hinnahme verständlich zu machen, zu erklären, allenfalls zu rechtfertigen, so tritt, um das Szenario von damals nicht so finster erscheinen zu lassen,
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