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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Autoren: Walter Kempowski
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mach’ ich nicht!« Wir haben sie dann ins Bad gehoben, die waren ja leicht. Die Füße abgefroren, und die Mädchen keine Brüste.
    Die russischen Ärzte waren toll! Die Schwester mit roten Fingernägeln. Das hielt ich damals für unmoralisch.
    Ich hab’ drei oder vier Tage da ausgehalten.
    Die kriegten so weiße Leinenanzüge an, ganz sauber, und die mußten wir dann verladen, auf Lastwagen. Es war eine wunderbare sternklare Nacht. Ich hab’ an Eichendorff gedacht, um mich abzulenken.
    Sie kamen in ein Haus, da waren Pritschen. Immer zwei auf eine Pritsche. Einer rief: » Schwester! Schwester! Hier ist ja Frauenstation!« Na, das konnte man doch gar nicht sehen, die sahen alle gleich aus, mit den geschorenen Köpfen.
    Sie kriegten dann erstklassig zu essen. Einer hieß Hirsch und einer Wolf. Kartoffelmus mit Butter drin. Sie waren von Stuthof gekommen, im Schneetreiben.
    Das einzige Kind hieß Bella. Eine kleine Schwarze, eine Inkarnation der Rasse, mit so langen Locken. Ein nettes, süßes Mädchen. Die Mutter war auch gerettet, und die beiden Brüder auch.
    Die hatten keine Rachegefühle gegen uns.
    Die haben uns sogar noch geschützt vor Vergewaltigungen.
    Aus Egoismus hab’ ich mich dann in die Küche gemeldet, damit ich keinen Typhus kriege. Hab’ ihn aber trotzdem bekommen.

9
    Pastor
    Ich kam 1943 in amerikanische Gefangenschaft. Alles prima! Nach dem Krieg änderte sich das Essen schlagartig. Wir bekamen sehr magere Kost und sahen Buchenwaldfilme. Das war das erste Mal, daß ich von KZ s gehört habe.
    Lehrer, 1928
    Ich hab’ das in der Gefangenschaft zum erstenmal gehört: Millionen Juden? – Und da hab’ ich meine Kameraden gefragt: » Hast du einen in deiner Verwandtschaft, der das tun würde?« – » Nee.« – » Hast du?« – » Nee.« – Und von daher hab’ ich gesagt: Also unmöglich. Dazu kam noch, daß ich den Soldatensender Calais gehört habe, und da hatten sie mal gelogen, daß die Deutschen Hunde und Katzen essen. Und deshalb haben wir die andern Sachen auch nicht geglaubt.
    Versicherungskaufmann, 1923
    Am 9. April 1945 kam ich in Hannover in Gefangenschaft. Wir wurden auf einen Hof getrieben, da saßen KZ ler. Die kamen aus einem Nebenlager von Bergen-Belsen. Die Amerikaner gaben denen zu essen, die waren nur noch Haut und Knochen.
    Studienrat, 1929
    Ich habe in Faßberg gewohnt. Belsen war ganz in der Nähe, aber ich habe erst nach dem Krieg zum erstenmal den Namen Belsen gehört, obwohl es höchstens 25 Kilometer entfernt ist.
    Die Geheimhaltung ging sehr weit.
    Hausfrau
    Ich hatte eine Kusine, die saß im KZ .
    Die tauchte eines Tages ganz vergnügt wieder auf.
    Sie war Bibelforscherin. Sieben Jahre hat sie gesessen, in Buchwald oder Buchenwald, wie’s heißt.
    Die lebt jetzt in der Ostzone.
    Hausfrau, 1905
    Ich hatte eine Kusine im KZ . Die hatte sich über Juden geäußert, und der Pensionsinhaber hat sie angezeigt. Ein Jahr war sie da, 1944 bis 1945.
    In ihrem schönen KZ -Mantel mit der Nummer drauf ist sie nach Hause gekommen. Und als sie ankam, da waren ihre ganzen Verwandten tot. Da hatten die Russen eine Alkoholorgie gefeiert. Alle waren tot.
    Jetzt ist sie Professor in Frankfurt am Main.
    Kaufmann, 1928
    Zwei jüdische Arbeiterinnen hatten wir in der Fabrik.
    Kurz vor Kriegsschluß, im März 1945, wurden sie, wegen der herannahenden Front, angeblich in die Tschechoslowakei, nach Theresienstadt, geschickt. Sind abgefahren in Richtung Theresienstadt, angeblich, um vor den Bombenangriffen in Sicherheit zu sein.
    Ende Mai 1945 kamen sie munter wieder und fragten, ob sie Arbeit kriegen könnten. Erzählten, daß sie es da gut gehabt hätten, gute Verpflegung und so weiter.
    Hausfrau
    Ich hab’ in München zwei Jahre eine Jüdin verborgen, alles redlich geteilt.
    Schwierig war es mit dem Luftschutzkeller, sie sah so furchtbar jüdisch aus.
    Als der Krieg vorbei war, in den ersten Tagen, kam sie mir auf der Straße, Hand in Hand mit einer ganzen Reihe von KZ -Häftlingen, entgegen. Sie gingen mitten auf der Straße und standen unter Alkohol.
    Ich ging spontan auf sie los, aber sie sah durch mich hindurch. Das hat mich sehr getroffen, und ich hatte sie doch zwei Jahre verborgen gehalten und alles redlich geteilt. Schwierig war das gewesen. Und mein Mann ist beim 20. Juli umgekommen.
    Der Vater dieser Jüdin, ein sehr gebildeter alter Herr, der nicht abgeholt worden war, war noch bis weit nach dem Krieg ein Anhänger Hitlers. Der sagte: » Wir Juden müssen immer wieder daran
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