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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Autoren: Walter Kempowski
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ich wußte auch, was da geschieht. Ich kann es einem Mann wie Speer nicht abnehmen…
    Ich bin Infanterist gewesen, Obergefreiter, und bin mehrfach mit SS -Chargen zusammengekommen. Und diese Kerle, die heute von nichts gewußt haben wollen, die haben damals viel erzählt, und von den grauslichsten Dingen.
    Kleindarsteller
    Die ganze Toskana war verseucht von Partisanen, und wen sie erwischten, der wurde sofort aufgehängt.
    In Monte Catini, da hab’ ich zwei hängen sehen, auf dem Marktplatz, 1944.
    Studiendirektor
    Ich wußte nicht, was das für Leute waren: Bei uns in der Kaserne liefen welche herum, mit Abzeichen: blau, rot. Denen ging’s herrlich. Die arbeiteten in der Küche, waren dick und vollgefressen. Wogegen wir SS -Männer Wurst bekamen, die war so dünn geschnitten, daß man die Sonne da durchsehen konnte. Wir haben geschwitzt, und die kriegten da zu essen. Von wegen, daß die jemand da angeschnauzt hätte! Das hab’ ich nie gesehen.
    Vertreter
    Wir hatten als junge Leutnants Gelegenheit, ein KZ zu besichtigen. Das war im Januar 1945. Aber– wenn man in die Küche eines KZ geführt wird, dann kann man nicht beurteilen, ob die Häftlinge satt werden. Da liegen zentnerweise das Fleisch und die Butter rum…
    Wir durften sogar die Apotheke sehen und die pathologische Abteilung, alles einwandfrei, friedensmäßig. In der Pathologie waren Leute mit weißen Kitteln damit beschäftigt, eine Leiche anzugucken. Alles, wie es sein muß. Als wir schon weggingen, höre ich, wie der Arzt da seinen Befund diktiert: » Alter 53 Jahre, Todesursache Altersschwäche.« Da hab’ ich plötzlich gewußt: Mensch, das ist ja alles Fassade!
    Schauspielerin
    Ich bin mit einem Leutnant befreundet gewesen, 1944, dessen Vater war Generalapotheker, und der hat erzählt, die Juden seien in Pölitz und würden da furchtbar gequält. Die müßten in glühender Hitze Sand umschaufeln, von rechts nach links und wieder zurück. Und daß da viele Menschen totgeschlagen würden, und die Leichen würden in die Oder geworfen und die schwämmen dann durch das Haff in die Ostsee.– Ich hab’ das nicht geglaubt.
    Eisenbahner
    Teils nein. Wie der Krieg zu Ende ging, da sind wir mal vorbeigefahren an einem Lager in Polen. Da standen sie am Zaun und schrien: » Brot! Brot!– Hunger! Hunger!«– Ich fuhr einen Lazarettzug.
    Sonst hab’ ich nie etwas gesehen und nie geglaubt, daß wir den Krieg verlieren. Was da an Munition und Nachschub rollte, das war doch ungeheuer.
    Ein Mann, 1932
    Winter 44/45. Ich ging zur Schule, und mein Schulweg führte an der Bahnstrecke Berlin–München vorbei. Einen riesengroßen Güterzug sah ich da, Viehwagen ohne Dach und lauter Köpfe: OGott, was ist denn das!? Hab’ aber nicht den Mut gehabt, meine Mutter danach zu fragen. Oben kein Dach, Kopf an Kopf.
    Angestellte
    1944 hab’ ich Radio Moskau gehört. Daß man bei der Befreiung des KZ Lublin einen Haufen Kinderschuhe gefunden hat, daß also alles dafür spräche, daß da Frauen und Kinder in Gaskammern vernichtet worden sind. Und obwohl ich kontra eingestellt war und das Kriegsende herbeisehnte, habe ich gesagt: Das ist gelogen, so was gibt es nicht.
    Verkäuferin, 1913
    1944, da gab’s schon gar kein Radio mehr, Bekannte hatten einen Apparat mit Anode oder wie sich das nannte, und da haben wir zum erstenmal gehört, daß es Konzentrationslager gäbe. Diesen Sender durfte man eigentlich gar nicht anstellen.
    Als wir das hörten, haben wir noch gesagt, das kann ja gar nicht angehn.
    Techniker
    Im Zuchthaus Bützow hatte man dänische Freiheitskämpfer untergebracht, das war 1944. Ich hatte einen Bekannten, der sagte zu mir: » Ich hab’ gehört, daß Sie öfter im Zuchthaus Bützow zu tun haben, da ist ein Neffe von mir, ein Däne. Können Sie nicht mal ’n Brief mit reinnehmen?«
    Als ich dann wieder mal in Bützow zu tun hatte, hab’ ich mich erkundigt, und da sagte ein Wachmann: » Da hinten steht er.«
    Da hab’ ich diesem armen Kerl, der nur noch Haut und Knochen war, einen Brief gegeben, und er hat auf meinem Rücken schnell ’n paar Zeilen geschrieben, hinterm Lastwagen.
    Der hatte Züge entgleisen lassen.
    Als wir dann 1945 flohen, sahen wir auf der Straße einen Bus stehen, der war von englischen Fliegern in Brand geschossen, und die Leute da drin, die lamentierten, konnten nicht raus. Das waren KZ ler, und da soll dieser junge Mann auch dabeigewesen sein.
    Eine Frau
    Ich bin unwahrscheinlich steril erzogen, hab’ auf’m Dorf gelebt.
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