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Gut gegen Nordwind

Gut gegen Nordwind

Titel: Gut gegen Nordwind
Autoren: Daniel Glattauer
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Briefchen (ein Stromstoß, ein Herzinfarkt), eine Nachricht. Ich schließe für ein paar Sekunden die Augen, ich sammle alle armseligen Restbestände meines positiven Denkens, ich konzentriere mich auf die ersehnte Meldung, auf Marlenes Zusage, auf Paris zu zweit, auf ein Leben für immer mit ihr. Ich reiße die Augen auf, ich öffne die Mitteilung. Und ich lese, ich lese, ich lese: »Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünscht Emmi Rothner.«
    So viel zu meinem »ausgewachsenen Massenmail-Weihnachtsgruß-Psycho«. Schönen Abend, Leo.
     
    Zwei Stunden später
    RE:
    Lieber Leo, das ist eine besonders gute Geschichte. Vor allem die Pointe hat mich begeistert. Ich bin beinahe stolz, dass ich da so schicksalhaft hineinspiele. Ihnen ist hoffentlich klar, dass Siemir, Ihrer »virtuellen Fantasiegestalt«, Ihrem »illusionistischen Phantombild«, gerade Außergewöhnliches von sich verraten haben. Das war jetzt so richtig »Privatleben Marke Leo, Sprachpsychologe«. Ich bin heute schon zu müde, etwas Brauchbares dazu zu sagen. Aber morgen kriegen Sie von mir eine anständige Analyse, wenn Sie erlauben. So mit 1.) 2.) 3.) und so weiter. Schlafen Sie gut, und träumen Sie sinnvoll. Also nicht von Marlene, würde ich Ihnen empfehlen. Emmi.
     
    Am nächsten Tag
    Betreff: Marlene
    Guten Morgen, Leo. Darf ich Sie ein bisschen härter anfassen?
    1.) Sie sind also so ein Mann, der sich für eine Frau nur am Anfang und am Ende interessieren kann: wenn er sie kriegen will und knapp bevor sie ihm endgültig abhanden kommt. Die Zeit dazwischen – auch Zusammensein genannt – ist Ihnen zu langweilig oder zu anstrengend, oder beides. Stimmt’s?
    2.) Sie sind zwar (diesmal) wie durch ein Wunder unverheiratet geblieben, aber um einen spanischen Piloten aus dem Bett Ihrer So-gut-wie-Ex zu bekommen, würden Sie schon einmal locker vor den Traualtar treten. Das zeugt von eher geringer Hochachtung gegenüber dem Ehegelübde. Stimmt’s?
    3.) Sie waren schon einmal verheiratet. Stimmt’s?
    4.) Ich habe Sie plastisch vor mir, wie Sie, warm und wollig eingebettet in Selbstmitleid, Liebesbriefe lesen und alte Fotos anschauen, statt etwas zu tun, was eine Frau auf die Idee bringen könnte, da wäre bei Ihnen so etwas wie ein Anflug von Liebe oder der leise Wunsch nach etwas Dauerhaftem zu erkennen.
    5.) Ja, und dann wirft sich MEINE Schicksals-E-Mail in Ihre über Sein und Nichtsein waltende Mailbox. Es ist, als hätte ich zum idealsten aller Zeitpunkte nun endlich ausgesprochen, was Marlene schon seit Jahren auf der Zunge gelegen sein muss: LEO, ES IST AUS, DENN ES WAR NIE AN! Oder mit anderen Worten, verklausulierter, poetischer, stimmungsvoller: »Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünscht Emmi Rothner.«
    6.) Aber jetzt, lieber Leo, setzen Sie eine imposante Geste. Sie antworten Marlene. Sie beglückwünschen sie zur ihrer Entscheidung. Sie sagen: MARLENE, DU HAST RECHT, ES IST AUS, DENN ES WAR NIE AN! Oder mit anderen Worten, verklausulierter, energischer, kraftvoller: »Liebe Emmi Rothner, wir kennen uns zwar fast noch weniger als überhaupt nicht. Ich danke Ihnen dennoch für Ihre herzliche und überaus originelle Massenmail! Sie müssen wissen: Ich liebe Massenmails an eine Masse, der ich nicht angehöre. Mfg, Leo Leike.« – Sie sind ein erstaunlich guter, nobler, stilvoller Verlierer, lieber Leo.
    7.) Nun meine Schlüsselfrage: Wollen Sie noch immer, dass ich Ihnen Mails schreibe? Schönen Montagvormittag, Emmi.
     
    Zwei Stunden später
    AW:
    Mahlzeit, Emmi!
    Zu 1.) Ich kann nichts dafür, dass ich Sie an einen Mann erinnere, der Sie offensichtlich – elegant, wie in Punkt eins von Ihnen beschrieben – enttäuscht hat. Glauben Sie bitte nicht, mich mehr zu kennen, als Sie mich kennen können! (Sie können mich gar nicht kennen.) Zu 2.) Was meine letzte Ausflucht in das Eheversprechen betrifft: Mehr als mich selbst einen »Vollidioten« zu schimpfen, kann ich ohnehin nicht. Aber die sarkastisch-moralinsaure Emmi mit Schuhgröße 37 setzt zur Ehrenrettung des Ehegelübdes noch eins drauf, vermutlich mit zugekniffenen Augen und Geifer vor dem Mund.
    Zu 3.) Tut mir Leid, ich war noch nie verheiratet! Sie? – Mehrmals, stimmt’s?
    Zu 4.) Da ist wieder der Mann von Punkt eins, an den ich Sie erinnere, der Mann, der lieber von der Realität überholte Liebesbriefe liest als Ihnen dauerhafte Liebe beweist. Vielleicht waren es sogar mehrere Männer in Ihrem Leben.
    Zu 5.) Ja, in dem Augenblick, als die
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