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Gut gegen Nordwind

Gut gegen Nordwind

Titel: Gut gegen Nordwind
Autoren: Daniel Glattauer
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Weihnachtsgrüßen bei Laune halten. Also bitte, seien Sie nicht böse. Mir hat die Einschätzung Spaß gemacht, ich habe ein schemenhaftes Bild von Ihnen vor mir, und das habe ich Ihnen in übertriebener Präzision mitzuteilen versucht. Ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten. Liebe Grüße, Leo Leike.
     
    Zwei Stunden später
    RE:
    Lieber »Professor«, ich mag Ihren Humor, er ist nur einen Halbton von der chronischen Ernsthaftigkeit entfernt und klingt deshalb besonders schräg!! Ich melde mich morgen. Ich freu mich schon! Emmi.
     
    Sieben Minuten später
    AW:
    Danke! Jetzt kann ich beruhigt schlafen gehen. Leo.
     
    Am nächsten Tag
    Betreff: Nahe treten
    Lieber Leo, den »Leike« lasse ich jetzt weg. Sie dürfen dafür die »Rothner« vergessen. Ich habe Ihre gestrigen Mails sehr genossen, ich habe sie mehrmals gelesen. Ich möchte Ihnen ein Kompliment machen. Ich finde es spannend, dass Sie sich so auf einen Menschen einlassen können, den Sie gar nicht kennen, den Sie noch nie gesehen haben und wahrscheinlich auch niemals sehen werden, von dem Sie auch sonst nichts zu erwarten haben, wo Sie gar nicht wissen können, ob da jemals irgend etwas Adäquates zurückkommt. Das ist ganz atypisch männlich, und das schätze ich an Ihnen. Das wollte ich Ihnen vorweg nur einmal gesagt haben. So, und jetzt zu ein paar Punkten: 1.) Sie haben einen ausgewachsenen Massenmail-Weihnachtsgruß-Psycho! Wo haben Sie den aufgerissen? Anscheinend kränkt man Sie zu Tode, wenn man »Frohe Weihnachten undein gutes neues Jahr« sagt. Gut, ich verspreche Ihnen, ich werde es nie, nie wieder sagen! Übrigens finde ich es erstaunlich, dass Sie von »Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr« auf ein Lebensalter schließen können wollen. Hätte ich »Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr« gesagt, wäre ich dann zehn Jahre jünger gewesen?
    2.) Tut mir Leid, lieber Leo Sprachpsychologe, aber dass eine Frau nicht jünger als 20 Jahre sein kann, wenn sie nicht »cool«, »geil« und »heavy« verwendet, kommt mir schon ein bisschen weltfremd oberprofessorenhaft vor. Nicht, dass ich hier darum kämpfe, so zu schreiben, dass Sie meinen könnten, ich sei jünger als 20 Jahre. Aber weiß man es wirklich?
    Ich schreibe also wie 30, sagen Sie. Eine 30-Jährige liest aber nicht »Like«, sagen Sie. Dazu erkläre ich Ihnen gerne: Die Zeitschrift »Like« hatte ich für meine Mutter abonniert. Was sagen Sie jetzt? Bin ich nun endlich jünger, als ich schreibe?
    Mit dieser Grundsatzfrage muss ich Sie alleine lassen. Ich habe leider einen Termin. (Firmunterricht? Tanzschule? Nagelstudio? Teekränzchen? Suchen Sie es sich ruhig aus.) Schönen Tag noch, Leo! Emmi.
     
    Drei Minuten später
    RE:
    Ach ja, Leo, eines will ich Ihnen doch noch verraten: Bei der Schuhgröße waren Sie gar nicht so schlecht. Ich trage 37. (Aber Sie brauchen mir keine Schuhe zu schenken, ich habe schon alle.)
    Drei Tage später
    Betreff: Etwas fehlt
    Lieber Leo, wenn Sie mir drei Tage nicht schreiben, empfinde ich zweierlei: 1.) Es wundert mich. 2.) Es fehlt mir etwas. Beides ist nicht angenehm. Tun Sie was dagegen! Emmi
    Am nächsten Tag
    Betreff: Endlich gesendet!
    Liebe Emmi, zu meiner Verteidigung gebe ich an: Ich habe Ihnen täglich geschrieben, ich habe die E-Mails nur nicht abgeschickt, nein, im Gegenteil, ich habe sie allesamt wieder gelöscht. Ich bin in unserem Dialog nämlich an einem heiklen Punkt angelangt. Sie, diese gewisse Emmi mit Schuhgröße 37, beginnt mich schön langsam mehr zu interessieren, als es dem Rahmen, in dem ich mich mit ihr unterhalte, entspricht. Und wenn sie, diese gewisse Emmi mit Schuhgröße 37, von vornherein feststellt: »Wahrscheinlich werden wir uns niemals sehen«, dann hat sie natürlich völlig Recht und ich teile ihre Ansicht. Ich halte das für sehr, sehr klug, dass wir davon ausgehen, dass es zu keiner Begegnung zwischen uns kommen wird. Ich will nämlich nicht, dass die Art unseres Gesprächs hier auf das Niveau eines Kontaktanzeigen-und Chatroom-Geplänkels absinkt.
    So, und diese E-Mail schicke ich nun endlich weg, damit sie, diese gewisse Emmi mit Schuhgröße 37, wenigstens irgendwas von mir in der Mailbox hat. (Aufregend ist der Text nicht, ich weiß, es ist auch nur ein Bruchteil von dem, was ich Ihnen schreiben wollte.) Alles Liebe, Leo.
     
    23 Minuten später
    RE:
    Aha, dieser gewisse Leo Sprachpsychologe will also nicht wissen, wie diese gewisse Emmi mit Schuhgröße 37 aussieht? Leo, das glaube
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