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Gun Machine

Gun Machine

Titel: Gun Machine
Autoren: Warren Ellis
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Kanonendonner, und vom Fluchen der schmarotzenden Kleinstunternehmer, die ihre 9/11-Postkarten verzweifelt davor bewahrten, vom Klapptisch vor dem Zaun geweht zu werden.
    Und weiter ins Territorium der anderen.
    Beim Fahren ließ Tallow den Funk mitlaufen. Musik wäre ihm lieber gewesen, doch er hatte gelernt, das Geplapper auf der Polizeifrequenz als eigene Klangstruktur zu würdigen, und so ließ er sich von den Wellen und Strudeln des Verbrechens und seiner Verwaltung mittragen: ein Kollege aus der Bronx, der blöderweise außer Dienst in einen Raubüberfall auf eine Autolackiererei gestolpert war; als er eine Kugel eingesteckt hatte und zu Boden gegangen war, hatte sich laut Funk ein Schulsicherheitsbeamter seine Waffe gegriffen und das Feuer erwidert. Mutter und Tochter, beide erdolcht in der Sheepshead Bay aufgefunden, dem Beamten vor Ort zufolge so perforiert und zerschmettert, dass sie nassen Lumpen ähnelten. Die Leiche eines vermissten Bronxbewohners im Kofferraum eines gestohlenen, auf Long Island deponierten Wagens und die erlesenen Kommentare der Detectives, die ihn gesucht hatten, um ihm einen versuchten Mord ans Bein zu binden. Die jedoch bald von Reaktionen auf eine Meldung aus Midtown übertönt wurden, wo ein Typ offenbar seine schwangere Ex mit Benzin übergossen und angesteckt hatte, als sie ihm verweigert hatte, was auch immer er wollte.
    Weil es immer darum geht, was die anderen wollen, dachte Tallow, als er sich durch Manhattan und seine Leichen schlängelte.
    Oben in den westlichen Fünfziger-Straßen kam der Verkehr beinahe zum Stillstand. Als Tallow den Wagen zentimeterweise vorwärtsschob, sah er eine massige Frau mit schlampig schwarz gefärbtem Haar, die vor einem der dahinsiechenden Bäume auf dem Gehsteig kniete. Ihre Schienbeine, die in ausgeblichene Wollsocken gehüllt waren, ruhten auf dem niedrigen schmiedeeisernen Zaun um den quadratischen Fleck Erde, auf dem der Baum ums Überleben kämpfte. Aus ihrem Nacken ragte ein silbriger Gegenstand. Sanitäter und Cops standen um sie herum, so tief in das Problem vor ihren Augen versunken, dass sie sich nicht um das Grüppchen Gaffer kümmerten, das eifrig Handyfotos knipste. Da kapierte Tallow, dass der dünne Metallstab den Nacken sauber durchschlagen hatte und am Hals wieder ausgetreten war. Es hatte die Frau an den schmächtigen Stamm genagelt.
    Als sich eine Lücke im Verkehr auftat, entdeckte er den Krankenwagen. Er parkte neben einem fetten Chrysler Town & Country, der mit einem Rad auf dem Gehsteig und ansonsten auf einem Fahrrad samt Fahrer stand. Offenbar war der Hinterreifen des Fahrrads geplatzt. Der Mantel war zerfetzt, die Felge zu einem eingedellten C aufgesprungen, und den Fahrer hatte es in einige Stücke gerissen. Fleischschmiere auf limettengrünem Lycra.
    Tallow begriff, dass dem Fahrrad mehrere Speichen abhandengekommen waren. Ein paar zählte er weiter hinten auf dem Gehsteig, und er wusste schon, wo die letzte war. Eine Laune der Fliehkraft hatte sie durch den Nacken der Frau geschleudert wie einen Pfeil.
    Kurz überlegte er, ob er einer Uniform oder einem Sanitäter seine Marke zeigen sollte, um die ganze Geschichte zu erfahren, aber das war nicht nötig. Er fuhr um den Unfallort herum und weg von der Toten, die mitten in New York City einen Baum anbetete.
    Bis zu den 500er-Hausnummern der West 145th Street war es verdammt weit. Sein Rücken tat höllisch weh, als Tallow endlich ankam. Wie eine sterbende Krabbe kletterte er aus dem Streifenwagen. Bei dem Versuch, sich aufzurichten, knarrten einige der wichtigeren Knochen.
    Er atmete tief ein und bekam dafür eine Nasevoll in der Sonne backender Hundescheiße ab.
    Das Büro des Hausbesitzers war ein schmaler begehbarer Schrank zwischen einer feuergefährdeten Bruchbude, die sich als Hotel ausgab, und einem CARIB & SOUL FOOD mit einer Fassade in einem Grünton, der Tallow an Krankenhäuser erinnerte. Vor dem engen Eingang des Büros stand ein schlaksiger Sechzehnjähriger in einem Retro-Knicks-Trikot und rauchte einen Blunt. Eine tiefe, offen liegende Narbe reichte von seinem Mundwinkel bis irgendwo unters Kinn, wodurch er im Profil einer Bauchrednerpuppe ähnelte. In seiner Hosentasche zeichnete sich der Griff eines Springmessers ab. Schokoladen- und Minzduft hingen in den Cannabisschwaden, die von ihm herüberdrifteten. Tallow warf einen zweiten Blick auf den Jungen und zog ein, zwei Jahre von seinem geschätzten Alter ab.
    » Bist ein Cop, was? « , sagte der Typ,
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