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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel
Autoren: Horst Biernath
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klar war, was das zu bedeuten hatte. Sie hatte sich beim Eintritt in das kleine, intime Lokal in Guntrams Arm gehängt und den Auftritt genossen. Jetzt genoß sie die Blicke von den anderen Tischen, die zumeist mit Herren reiferen Jahrgangs besetzt waren, und sie genoß auch die Schnulze, die der Akkordeonist ihr ins Ohr spielte. Sie genoß, daß sie jung und bildhübsch war, und sie genoß am meisten, daß Guntram die Blicke der Frauen und der beiden Bardamen magnetisch anzog. Er war fraglos der am besten aussehende und auch der am besten angezogene Mann, dem sie je begegnet war.
    Der Ober öffnete die Flasche am Tisch und füllte die flachen Schalen. Herbert Guntram hob sein Glas und trank Manuela zu: »Ich will Ihnen gestehen, daß ich mich über die unerwartete Verlängerung des Abends freue.«
    Manuela führte die Schale zum Mund und blinzelte ihn an: »Sie haben es mir wirklich nicht leicht gemacht, Herr Guntram. Und ich weiß nicht, ob ich es mir als Mädchen erlauben darf, Ihnen zu sagen, daß ich mich über meinen Erfolg freue. Meine Mutter wäre entsetzt, wenn sie mich hören würde.«
    »Ich werde die Erlaubnis, Sie ausgeführt zu haben, nachträglich bei Ihrer Frau Mutter einholen.«
    »Das habe ich damit eigentlich nicht sagen wollen. Aber wenn Sie es für nötig halten, bitte sehr. Ich habe vor Vicky keine Geheimnisse — oder nur sehr wenige. Dieser Abend hätte vielleicht zu den Ausnahmen gehört.«
    »Wie oft hat man Ihnen schon gesagt, daß Sie reizend sind?«
    »In den letzten drei Jahren ziemlich häufig. Als Kind sah ich übrigens bodenlos häßlich aus. Mit Zahnklammern und so... Ich habe davon richtige Komplexe zurückbehalten. Deshalb kann ich es gar nicht oft genug hören, wenn man mir Komplimente macht. Am meisten freuen sie mich natürlich von einem Kenner.«
    »Was wollen Sie damit sagen?« fragte er und runzelte die Stirn.
    »Genau das, was Sie verstanden haben. Aber es stört mich durchaus nicht...«
    Er sah sie mit einem schiefen Blick an: »Sie scheinen mich für einen Ladykiller zu halten...«
    »Sind Sie es etwa nicht?«
    Er klopfte eine Zigarette aus der Packung und bot sie ihr an: »Rauchen Sie, Manuela?«
    »Gern, falls Sie mir die Zigarette nicht wieder aus der Hand reißen und sie aufs Parkett feuern.«
    »Ich gebe Funken, wenn man mich gegen den Strich bürstet.«
    »Zünden Sie mir auch meine Zigarette an«, bat sie und spielte mit dem hellblauen Chiffonschal in ihrem Schoß. Er zögerte sekundenlang, ehe er ihre Zigarette anbrannte.
    »Danke...«, ihre Fingerspitzen berührten sich und Guntram sah, daß Manuela die Augen schloß, als sie mit Lippen, die sich wie zu einem Kuß rundeten, den Rauch ansaugte. Er vergaß, die eigene Zigarette anzuzünden.
    »Es ist heller Wahnsinn«, sagte er fast unhörbar, und es sah aus, als strenge ihn das Sprechen furchtbar an, »aber ich bin dabei, mich in Sie zu verlieben.«
    »Und was finden Sie dabei so wahnsinnig?« fragte sie mit einem dunklen Wimpernaufschlag, und ihre Hand kroch über den Tisch auf seine Hand zu, und die Spitze ihres Mittelfingers fuhr rasch und sanft über seine Knöchel.
    »Ich bin leider fünfundzwanzig Jahre älter als Sie —«
    »Vierundzwanzig«, verbesserte sie ihn. »Stört es Sie sehr, daß ich erst neunzehn Jahre alt bin?«
    »Zum Teufel, nein, aber es stört mich, daß ich dreiundvierzig Jahre alt bin!«
    »Mich stört es nicht im geringsten«, sagte sie, »und ich finde, wir sollten endlich aufhören, über Zahlen zu reden.«
    Der Ober näherte sich auf leisen Sohlen und füllte die Schalen zum zweitenmal. Herbert Guntram wartete, bis er sich wieder entfernt hatte.
    »Hören Sie mich an, Manuela«, begann er nervös.
    »Nein, ich höre nicht«, unterbrach sie ihn und zerdrückte die soeben angerauchte Zigarette im Aschenbecher, »denn was werden Sie mir schon sagen? Sicherlich, wie das mit uns weitergehen soll. Und ob ich mir auch überlegt habe, was nach zwanzig oder gar nach dreißig Jahren sein wird. Ist es nicht so? Sehen Sie! Aber lassen Sie sich sagen, mich interessiert die Zukunft überhaupt nicht. Und ich habe auch nicht etwa den Wunsch, daß Sie mir heute oder morgen einen Heiratsantrag machen. Wirklich nicht! Das schwöre ich Ihnen.«
    Er starrte sie an, als begegne ihm mittags um zwölf mitten auf einer Waldwiese in schimmerndem Fell und zierlich auf den kleinen Hufen trabend ein Einhorn oder ein anderes Fabelwesen, ein Kentaur oder ein flötenblasender, bocksfüßiger Faun. Er griff plötzlich
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