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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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. . .«, jetzt sprach sie leiser, ihre Haltung änderte sich, sie neigte den Oberkörper weiter vor und schien über den Konferenztisch auf Martin zuzukriechen, ». .. dass heute die politischen Parolen ähnlich sind. Eswerden hier im Hause so lächerliche Ziele formuliert: China und Russland sollen Absatzmärkte für unsere Weine werden. Welches sind denn die Visionen Ihrer Regierung in Deutschland? Sind es auch die großen Zahlen?«
    Wovon sie in Berlin genau träumten, wusste Martin nicht zu sagen, und er zuckte ausweichend mit den Achseln. »Zurück zum Wachstum, was anderes fällt Ihnen nicht ein, Privatisieren, das Staatseigentum wird an die Konzerne verteilt. Globalisierung, das ist auch so ein Wort, das Volk hilft den Banken und ähnlicher Unsinn.« Sicher träumten sie davon, wenn Politiker zum Träumen in der Lage waren, bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden und von der Pension oder Abfindung. »Models heiraten reiche Schauspieler, um sich später mit der Hälfte des Vermögens davonzumachen, und Manager steigen ein, nur um sich später teuer von ihren Firmen zu verabschieden. Politiker sind da nicht anders.«
    Das war auch bei den Franzosen der Fall, bei denen kam noch eine gehörige Portion Eitelkeit dazu – allen voran ihr kleingewachsener Präsident. Aber Martin hütete sich, mehr zu sagen. Es fiel ihm in solchen Situationen besonders schwer, seine Tarnung aufrechtzuerhalten. Er hatte nie eine falsche oder halb wahre Identität annehmen müssen, es hatte sich nicht ergeben. Genauso wenig wie er niemals in die Verlegenheit gekommen war, Schmiergeld anzunehmen oder jemanden bestechen zu müssen. Er hatte sich zwar dumm gestellt, hatte sich als Experte ausgegeben, er und Gaston hatten ein paar kleine Verkäufe an der Steuer vorbei getätigt, aber das waren Lappalien im Vergleich zu seiner momentanen Lage. Jetzt so zu tun, als käme er geradewegs aus Deutschland und würde dort als Weinbauberater oder Consultant, was bedeutender klang, tätig sein, fiel ihm dieser Frau gegenüber schwer. Charlotte hatte gelacht, als er ihr von Coulanges Bedingung berichtet hatte. »Stell dich nicht so an, das lernst
du
spielend.«
    Er wusste nicht, wie sie es gemeint hatte, zumal sie das Du betont hatte. Was wusste sie von ihm, was er selbst nicht sah? Er hatte sich im Stillen geärgert, Charlotte hatte gut lachen – nach ihren Erfahrungen in der Politik, wo Verstellung und Lüge zur Grundausbildung gehörten. Unter Diplomatie verstand er etwas anderes, aber er hatte das nicht gelernt, und es war nie sein Wunsch gewesen, in dieser Disziplin eine Medaille zu gewinnen. Er dachte an Charlotte, sie fehlte ihm, und er bemerkte, dass Sofia bemerkt hatte, dass er mit seinen Gedanken woanders war.
    ». .. werden Produktionsmengen angepeilt von fünfzehnbis zwanzigtausend Kilo je Hektar. Sie wissen, was das bedeutet?«
    Ja, das wusste Martin nur zu gut, er war rasch wieder beim Thema. Das waren Mengen, mit denen die deutschen Winzer ihren guten Ruf verdorben hatten. Er selbst produzierte extrem wenig, auf einem Hektar höchstens viertausend Kilo, das war weniger als ein halbes Kilo pro Rebstock. Wenn die Zielsetzung Masse vor Klasse gewesen war, dann konnte ein Investor, der Qualität erzeugen wollte, hier durchaus was werden – wenn denn solche Weine jetzt gefragt waren, woran Martin inzwischen zweifelte.
    »Unser ehemaliger Minister war vom Fach«, sagte Sofia. Die Betonung, die auf »ehemalig« lag, zeigte deutlich, dass der Neue nicht ihre Zustimmung fand. »Er war Agrarexperte. Das ist bei Politikern selten, dass sie was von der Materie verstehen. Unser Land wird heute von Netzwerken aus Verbrechern, Hochstaplern und Spekulanten regiert. Es hat keine moralische oder demokratische Reform gegeben. Hier haben sich die alten Machthaber mit den internationalen Konzernen verbündet. Und genauso würde es in der alten DDR aussehen, wenn es die BRD nicht geben würde. Glücklicherweise gibt es die Europäische Union, und die bestimmt immer durchgreifender die Regeln. Und vielleicht wurden gerade deshalb siebenunddreißig Millionen Euro an Agrarkreditenfür neue Projekte gestrichen. Sogar Brüssel weiß nicht mehr, wo das Geld versickert, wer es bekommt oder verschwinden lässt. Kurzfristig verlieren wir dadurch, unser Volk versteht die neuen Regeln nicht, aber langfristig könnten wir profitieren. Das ist zumindest die offizielle Lesart«, schob sie leise nach, und Martin merkte, wie wenig sie mit dem Gesagten
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