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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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Und dass sich Firmen die Leute genau ansehen, die für sie arbeiten – willst du ihnen das verdenken? Du machst es nicht anders . . .«
    ». .. aber ich kümmere mich nicht um anderer LeutePrivatleben«, warf Martin ein und ärgerte sich, dass man ihn nicht verstand.
    »Du bist kein Maßstab«, meinte Jacques, »die Standards setzen andere. Die Bank steckt das Spielfeld ab. Die weiß sowieso alles von dir, deine Krankenkasse auch, und das Finanzamt blickt besser durch als Charlotte.«
    »Woher wissen sie von Gaston?«
    »Hast du vergessen, was hier los war, damals?«, meinte der Patron. »Sogar mir haben die Journalisten die Bude eingerannt. Im Prozess ist deine Rolle ausführlich behandelt worden. Der war öffentlich, ja, zum Teil, und später kam noch der Prozess gegen den Korsen. Das war fast eine Staatsaffäre. Außerdem,
mon ami,
hatte Frankreich bereits unter Kardinal Richelieu einen funktionierenden Geheimdienst.«
    »Ich dachte, dass nur Deutschland paranoide Innenminister hervorbringt.«
    Jacques’ Mitleid ging in Unverständnis über. »Weißt du eigentlich, wo du lebst? Wir sind Atommacht! Frankreich ist ständiges Mitglied im Sicherheitsrat. Soll ich unsere Kriege aufzählen? Indochina und Algerien sind nur die bekanntesten, du kannst nur Krieg führen, wenn du deine interne Opposition kontrollierst. Und dann unsere Kolonien . . .«
    »Eure Kolonien? Du hast ja nicht alle Tassen im Schrank, Jacques«, zischte Martin empört.
    Der Patron schwieg weise, Martin wusste, dass er es verstand, jeden Streit abzubiegen, hier hatte es noch nie eine Schlägerei gegeben, obwohl die verrücktesten Typen aufkreuzten. »Da drüben« – der Patron wies auf einen untersetzten dunkelhaarigen Mann mit dunklen Schatten vom starken Bartwuchs im Gesicht   –, »das ist ein Rumäne, soweit ich weiß. Er arbeitet seit einigen Jahren hier. Sprich mit ihm, der kann dir was sagen. Vielleicht hilft es dir. Hier, nimm die Flasche.« Der Patron drückte Martin den Les Voconces in die Hand und ein Glas. »Setz dich zu ihm, ich glaube, er ist in Ordnung.«
    Der Rumäne hieß Grigore Constantinescu, war vor acht Jahren aus Rumänien abgehauen, wie er sagte, hatte sich zuerst als Landarbeiter und Erntehelfer durchgeschlagen und arbeitete inzwischen bei einer Firma für Landmaschinen als Monteur.
    »Du willst nach Rumänien?«, fragte er unwirsch. »Weshalb? Was willst du da?«
    Martin erklärte es ihm.
    »Und soll ich gleich über Rumänien abkotzen oder erst später? Was willst du von mir hören? Dass da kein Mensch mehr den Unterschied zwischen Gut und Böse kennt? Dass alle die totale Gehirnwäsche hinter sich haben? Dass die ganze Kommunistenbande von damals noch immer an der Macht ist? Oder dass es Rumänien eigentlich gar nicht mehr gibt? Ein paar gute Weine gibt’s schon, nur die lohnen deine Reise nicht. Ihr habt viel schönere. Was glaubst du, weshalb ich abgehauen bin? Hier wird man auch als Arbeiter noch einigermaßen als Mensch behandelt. In Rumänien bist du ein Dreck, wenn du kein Geld hast. Aber wenn du unbedingt willst . . .« Grigore Constantinescu schrieb eine Adresse auf einen Zettel. »Hier, nimm. Das ist die Adresse von meinen Verwandten, wenn du mal Hilfe brauchst – und wenn du keine Angst vor armen Leuten hast.«
    »Willst du nicht wieder zurück? Seit Rumänien in der Europäischen Union ist, hat sich viel geändert . . .«
    »Wer hat das erzählt? Mir für zweihundert Euro im Monat den Arsch bei Nokia oder Dacia aufreißen? Nee, nie, nur über meine Leiche.«
    Martin kehrte entgeistert zum Tresen zurück. Jacques sah ihm die Verwirrung an. »Was hat er gesagt?«
    »Das mag man nicht wiederholen«, murmelte Martin kaum hörbar. »Dem muss irgendwas Schreckliches zugestoßen sein – das hat er bis heute nicht verdaut.«

3
    Sie wirkte zierlich und zerbrechlich, was vom engen Schnitt und dem Dunkelgrau ihres Kostüms zusätzlich betont wurde. Ihre von langen Wimpern verschleierten schwarzen Augen erinnerten ihn an den traurigen Blick einer Heiligen auf einer Ikone. Andererseits war es erstaunlich, wie viel Energie in dieser zarten Person steckte. Zuerst, als Martin ihr Büro betreten hatte, war sie ihm einen Moment lang wie eine Art »Petra« vorgekommen. Das war ein Frauentyp, mit dem er seit der Episode mit seiner Petra, seiner Freundin vor Charlotte, überhaupt nicht mehr umgehen konnte: karriereorientiert, die Meinung anderer galt nichts, eine Frau, die den Wagenschlüssel ihres Audi-Kabrioletts als
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