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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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Zeichen des Erfolgs sichtbar auf den Restauranttisch legte.
    Diese Frau ihm gegenüber hielt den Kopf stolz in den Nacken gelegt, wobei die Augen nicht weniger traurig wirkten, und schien so allwissend wie damals Petra, auch sie hatte einen ähnlichen Eindruck hervorrufen können. Aber bei Sofia waren es Wille und Entschiedenheit, die diese Wirkung erzielten, und auch ihre Art, sich unangenehme Zeitgenossen mit Sachlichkeit vom Leib zu halten.
    Um sich an den komplizierten Nachnamen dieser Frau zu erinnern, musste er wieder auf ihre Visitenkarte schauen, die vor ihm lag. »Sofia RACHITEANU«. In der rechten oberen Ecke der Karte befand sich das Wappen Rumäniens – ein stilisierter Adler mit einem Schwert im Schnabel, odersollte es ein Kreuz darstellen? Der Adler schien flügellahm und sein Schwert stumpf. Das war Martins Eindruck nach vier nervenaufreibenden Tagen in der Hauptstadt Bukarest. Es kam ihm nicht darauf an, Beweise für dieses Gefühl zu finden und das in seinen Bericht einfließen zu lassen, nein, das Gefühl war da, und damit war es gut. So wie er sich auf seinen Geschmackssinn verließ, auf Ahnungen, Mutmaßungen und Erfahrung, um einen guten Wein zu machen – und nicht auf chemische Analysen. Die waren zweifellos nötig, aber zweitrangig. Er fühlte sich nicht wohl, weder in dieser Stadt noch an diesem Ort, erst recht nicht in Sofias Büro und schon gar nicht in seiner Haut.
    »Unter Ceauşescu ging es um nichts anderes als um die Erhöhung der Produktion – beim Stahl wie bei Weintrauben. Je höher der Ertrag pro Hektar war, desto besser. Wer sein Soll erfüllte, wurde belobigt, bekam mehr Geld, mehr Lebensmittel, Vergünstigungen eben.«
    Sofia Rachiteanu betrachtete Martin mit einer Mischung aus Skepsis und Wohlwollen. Sie war die erste Person, bei der Letzteres überwog. Er meinte zu bemerkten, dass sie nicht wusste, was sie von ihm halten sollte, andererseits war sie ziemlich mitteilsam. Er trat als Wein-Consultant aus der Bankenstadt Frankfurt auf und als Wegbereiter für internationale Investitionen, und beides ging ihm gegen den Strich.
    »Bei Stahl kam es auf die Qualität an«, setzte Sofia ihren Vortrag fort. »Er wurde ins Ausland geliefert. Beim Wein hat die Qualität niemanden interessiert, den mussten wir selbst trinken. Wir wussten gar nicht, was Qualität war, denn um das festzustellen, braucht man einen Vergleich, und wir hatten keinen, wir verglichen rumänische mit rumänischen Weinen. Es ist vielleicht auch unwichtig, was draußen geschieht, wichtig ist das eigene Land, aber hier gab es keinerlei Anreiz, einen besseren Wein zu machen, außer für die Bonzen. Es ging darum, mehr für sie zu produzieren und schneller, und natürlich auch kostengünstiger.Das ist heute bei den ausländischen Konzernen genauso. Wir sind eben Funktionäre, wir funktionieren und tun, was man uns sagt. Die Ungarn, die Tschechen und Polen, die haben revoltiert. Die Deutschen   ... na ja, bei einigem guten Willen wird eine kleine Revolution draus, lassen wir ihnen die Freude   ... Wie sehen Sie das, Monsieur Bongers?«
    Es gefiel Martin, dass sie französisch miteinander sprachen.
    »Wir hingegen, wir hatten nie die Zeit und auch nicht die Fantasie, darüber nachzudenken, was wir wollten«, fuhr sie fort, ohne seine Antwort abzuwarten. »Und heute? Alle Möglichkeiten sind vertan. Die Weichen sind gestellt, der Zug rollt, wieder haben andere entschieden   ... aber glauben Sie bitte nicht, dass wir alle so sind.«
    Während dieser Sätze hatte sie nach unten geschaut, erst bei den letzten Worten hatte sie den Blick gehoben, ein wenig flehentlich, sich entschuldigend, sich zu den anderen zählend, sie hatte laut gedacht und schien erschrocken, dass sie etwas gesagt haben konnte, was sie nicht hätte sagen dürfen. Martin bemerkte, dass sich um Sofias Mund sofort harte Falten bildeten, wenn sie auf die Diktatur zu sprechen kam.
    »Die Steigerung der Produktion und Planerfüllung, das waren die Ziele. Mehr, immer mehr, egal was. Es ging um Devisen, mit denen das Regime die Auslandsschulden bezahlen konnte, da war Ceauşescu gnadenlos. Die Pläne wurden nie erfüllt, nur über-erfüllt, und das wurde gefeiert, während wir hungerten. Wirklich, Sie brauchen gar nicht so ungläubig zu gucken. Ihre DDR war ein Paradies im Vergleich zu uns. Wissen Sie, was Hunger ist?«
    Je länger Sofia sprach, desto mehr redete sie sich in Rage, der Anflug von Röte in ihrem Gesicht stand ihr gut. »Mir scheint, dass heute
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