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Große Liebe Desiree

Titel: Große Liebe Desiree
Autoren: Mirinda Jarett
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Land für die grauenhafte Tat eines einzelnen verantwortlich machen.«
    Désirée betrachtete den grauen Matsch, in den sich der getaute Schnee inzwischen verwandelt hatte. Zu spät bemerkte sie, daß sie ihrer Großmutter ganz unabsichtlich sehr weh getan hatte, und sie haßte sich dafür. »Großmama, verzeih mir. Ich wollte nicht so zu dir von Vater sprechen.«
    Aber ihre Großmutter war mit ihren Gedanken schon ganz woanders. »O Désirée, ich fürchte, ich habe mein Gebetbuch vergessen«, sagte sie, während sie angstvoll ihre Taschen abklopfte. »Würdest du bitte zurückgehen, um es zu holen? Du weißt ja, es war ein Geschenk meiner Schwester, und ich traue diesem Jungen, der die Bänke nach dem Gottesdienst fegt, zu, daß er es für sich behält. Beeil dich!«
    Désirée nickte gehorsam und gab ihrer Großmutter einen Kuß auf die gepuderte Wange. Die ältere Frau sah müde aus. Der Blick ihrer blauen Augen wirkte verschleiert, und Désirée bedauerte noch einmal ihren Ausbruch. Nicht mehr lange, und auch Großmutter würde für immer von ihr gegangen sein.
    »Vertrau deinem Gefühl, mein Kind«, sagte Mariah liebevoll und streichelte ihrer Enkelin die Hand, »und folge deinem Herzen und nicht deinem Kopf. Einen besseren Rat kann ich dir nicht geben.«
    Ein guter Rat mochte es sein, dachte Désirée, als sie zur Kirche zurückeilte, aber sie würde ihn kaum befolgen können.
    Sie hatte ihren Vater in ihrer Kindheit nur selten zu Hause gesehen, er war als Kapitän eines Kaperschiffes manchmal monatelang auf See gewesen. Aber ihre Erinnerungen an ihn, an sein Lachen und sein freundliches Wesen waren klar und deutlich. Sie wußte noch, daß er sich immer zu ihr hinuntergebeugt hatte, wenn er mit ihr sprach, daß er kleine Puppen für sie schnitzte mit einem Messer so lang wie ihr Unterarm. Ihre Mutter war bei der Geburt Obadiahs gestorben, als Désirée selbst noch sehr klein gewesen war, und so hatte sie ihren Vater mit rückhaltloser Hingabe geliebt. Wie hatten sie sich auf die Zeit gefreut, wenn der Krieg vorbei sein würde und ihr Vater wieder zu seinem friedlichen Handel zurückkehren konnte!
    Und dann, zwei Wochen nach Désirées neuntem Geburtstag, war Kapitän Jon Sparhawk tot. Der Überlebende eines langen, grausamen Krieges war in Friedenszeiten sinnlos auf dem Achterdeck seines eigenen Schiffes getötet worden, neben sich den vierzehnjährigen Jeremiah, der über dem zerschmetterten Körper seines Vaters schluchzend zusammengebrochen war. Désirée wußte das alles, weil Jeremiah es ihr erzählt hatte. Sie hatte es nie vergessen. Sie konnte es nicht. Sie verstand, was ihre Großmutter ihr hatte sagen wollen, doch irgend jemand mußte verantwortlich gemacht werden für den Tod ihres Vaters. Ein Engländer, wer auch immer ...
    Aber mußte es gerade Kapitän Herendon sein? Schließlich war er gekommen, um ihrer Familie zu helfen, nicht, um ihr Kummer zu bereiten. Dann fiel ihr ein, daß sie ihrer Großmutter noch nichts von Obadiahs Brief gesagt hatte, und sie bekam ein schlechtes Gewissen. Sie beschleunigte ihre Schritte, und die Holzgaloschen, die sie trug, um ihre Schuhe vor dem Schneematsch zu schützen, klapperten auf den Pflastersteinen.
    Der Himmel war wolkenverhangen, die Luft kalt und neblig, und abgesehen von zwei Kindern, die einen Eimer
    Wasser von einer Pumpe wegschleppten, hatte Désirée die Straße für sich allein. Wind wehte vom Wasser herüber und ließ ein paar trockene Eichblätter an den Zweigen rascheln, und Désirée senkte den Kopf und schob die Hände tiefer in den Muff. So grau und ungemütlich waren die Wintertage oft in Rhode Island, und dieses Mal paßte es hervorragend zu ihrer Stimmung.
    Sie betrat die leere Kirche durch den Nordeingang und schüttelte den feuchten Saum ihres Kleides. Dann glitt sie eilig an den Kirchenbänken vorbei, bis sie zu der Bank kam, die ihrer Familie gehörte. Sie war groß genug, um acht Menschen Platz zu bieten, aber jetzt saßen oft nur Désirée und ihre Großmutter dort. Hier lag das vergessene Gebetbuch, und Désirée nahm es auf und schob es in ihren Muff. Dann wandte sie sich zum Gehen.
    »Miss Sparhawk. Désirée.«
    Sie erkannte die Stimme sofort und erstarrte.
    »Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte Jack, und seine Worte hallten wider in dem leeren Raum. »Bitte verzeihen Sie, falls ich das getan haben sollte.«
    Wie sie da stand, ihm halb zugewandt, die Wangen rosig vom Wind, das dunkle Haar unter der mit Satin eingefaßten
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