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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder
Autoren: Oggi Enderlein
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welchen Lebens- und Bewegungsraum sie brauchen, welche Erfahrungen für ihr Alter normal und für ihre Entwicklung wichtig sind.
    Was wirklich alterstypisch und für eine natürliche Entwicklung notwendig ist, erkennt man am besten, wenn man Kindheiten aus verschiedenen Zeiten und Kulturen miteinander vergleicht. Gespräche mit Erwachsenen aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichen Ländern sind wertvolle, lebendige Quellen. Schriftliche Lebenserinnerungen geben Einblicke in Kindheiten aus unterschiedlichen historischen und sozialen Zusammenhängen. Die Beobachtung von Kindern in Gegenden, in denen sie noch in gewissem Maße ein »Eigenleben« führen, liefert Hinweise dafür, was Kinder auch heutenoch treiben und tun würden, wenn sie Gelegenheit dazu hätten.
    Dort wo Kinder »natürlich« leben, besonders in den Entwicklungsländern, ist der technische Fortschritt häufig noch nicht sehr weit entwickelt. Damit verbunden ist, dass auch die sozialen Verhältnisse aus unserer Sicht oft problematisch und »unterentwickelt« sind. Und das heißt für uns Mitteleuropäer fast automatisch, dass Kinder in diesen Verhältnissen ihrer Kindheit beraubt werden, weil sie unterdrückt und zur Arbeit gezwungen sind und in Armut leben müssen.
    Das stimmt. Aber es stimmt nur teilweise. Denn zum einen sind auch in »Entwicklungsländern« Kinder nicht durchwegs bettelarm, geschweige denn zu ausbeuterischer Arbeit gezwungen, genauso wenig, wie es alle europäischen Kinder früherer Zeiten waren. Zum anderen kommen auch in den Lebenserinnerungen von Menschen, die in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen sind und die als Kinder hart drangenommen wurden, neben diesen düsteren Seiten durchaus positive, intensive Erinnerungen an ein selbstbestimmtes, erlebnisreiches Kinderleben vor, aus denen sie als Erwachsene spürbar noch Kraft schöpften. Im Kern gute Erfahrungen, die für viele Kinder unserer Tage unerreichbar geworden sind.
    Mit Kindheit ist es vielleicht wie mit der Umwelt: Der technologische Fortschritt hat viel zerstört. Wenn wir das verloren gegangene Leben wiederherstellen wollen, müssen wir zwar zurückschauen, um zu sehen, was eine gesunde, ausgeglichene Natur braucht. Das heißt nicht, dass wir das Rad der Geschichte zurückdrehen müssen. Das ginge auch gar nicht. Wir müssen aber nach Möglichkeiten suchen, wie wir die verlorene Lebendigkeit zurückgewinnen können, ohne damit auf die Errungenschaften des Fortschritts verzichten zu müssen.
    In diesem Sinn möchte ich mit diesem Buch versuchen, dem Rad der Geschichte einen kleinen Schubs nach vorn zu geben, in der Hoffnung, dass eines Tages die Kinder in unserer Gesellschaft wieder so leben können, wie sie es für eine natürliche und gesunde Entwicklung brauchen.

Persönliche Vorbemerkung
    D en Anstoß für dieses Buch gab Professor Wolfgang Edelstein, einer der führenden Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungs- und Entwicklungsforschung in Berlin. Ihm verdanke ich vor allem die Ermutigung, etwas aufzuschreiben, was in weiten Strecken mehr auf praktischer Lebenserfahrung beruht als auf wissenschaftlicher Forschung.
    Soweit es mir möglich war, habe ich aber versucht, die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse einzuarbeiten. Dabei habe ich allerdings auf Anmerkungen oder Querverweise im Text verzichtet. Wenn man versucht, Entwicklung als einen ganzheitlichen Prozess zu verstehen und zu beschreiben, berührt man logischerweise alle Themen der Entwicklungs- und Erziehungsforschung: Es geht um Denkpsychologie genauso wie um Emotionspsychologie, um die Entwicklung der sozialen Kompetenz ebenso wie um die Entwicklung der Identität, um den Einfluss von Schule, Unterricht und Elternhaus und um den Einfluss von Gleichaltrigen. Es geht um Stichwörter wie Entwicklungsaufgaben, Entwicklungskrisen, Sozialökologie, Kinderkultur, Mediennutzung usw. Das heißt, dass eigentlich fast in jedem Satz mindestens ein Verweis zur wissenschaftlichen Literatur sinnvoll gewesen wäre. Das wollte ich dem Leser ersparen. Die nur scheinbar übergangenen Wissenschaftler bitte ich um Verständnis und Nachsicht. Wer wissenschaftliche Querverweise sucht, wird in der neuen Ausgabe der
Entwicklungspsychologie
von Rolf Oerter und Leo Montada, im
Handbuch der Kindheitsforschung
von Manfred Markefkaund Bernhard Nauck sowie in
Was für Kinder
vom Deutschen Jugendinstitut die Wegweiser zu den wissenschaftlich belegten Fakten finden, die in dieses Buch eingeflossen sind.
    In
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