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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
Autoren: Aileen P. Roberts
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und postierte sich vor dem Ausgang.
    Kobbi, ein wohlerzogener junger Bogin, höflich und zuvorkommend, holte tief Atem. »Das wirst du bereuen, du … du Dieb«, sagte er mit seiner strengsten Stimme. Er hatte vorhin Garth’ Flüchen zwar zugehört, brachte aber keinen einzigen über die Lippen. So weit war er noch nicht.
    »Ja, werde ich später«, erwiderte Garth. »Und jetzt pack dich, Halbling.«
    Er hat zumindest nicht Bucca gesagt. Darauf kann ich mir was einbilden , spottete Kobbi über sich selbst.
    Mit schlotternden Knien trippelte Kobbi gebückt durch den engen Gang. Es roch muffig nach schimmligem Moos, und es war kühl. Der Bogin war froh über die Stiefel, denn der Boden fühlte sich nicht gerade vertrauenerweckend an; weich und nachgiebig war er und keineswegs trocken. Kobbi war froh, dass er nicht sehen konnte, worüber genau er da ging.
    Wenigstens konnte er sich nicht verirren, da es nur geradeaus ging, und an und für sich müsste er das Ende auch bald erreicht haben. So groß war das Grab nicht gewesen, und dennoch … ging es irgendwie immer tiefer hinab .
    Das Blut rauschte in seinen Ohren, und Kobbis Atem ging keuchend. Seine Angst nahm mit jedem Schritt zu. Er tastete sich durch Schwärze; nicht einmal seine guten Augen konnten ihm hier noch nützlich sein, wohin kein Lichtstrahl je den Weg fand.
    Ab und zu blieb er stehen, um zu lauschen und zu schnuppern. Die Gerüche änderten sich kaum. Es war feucht und klamm, und er spürte, wie die Kälte langsam durch seine Weste kroch. An diesem Ort hatten Lebende nichts verloren; er war für die Toten gemacht, deren Ruhe nicht gestört werden durfte.
    Jeden Moment erwartete Kobbi, dass der Grabwächter über ihn herfallen würde und ihn binnen zweier Pulsschläge in tausend Stücke riss, um sie anschließend genüsslich zu verzehren.
    Verdient hätte er es. Er war seinem Herrn gegenüber äußerst ungehorsam gewesen, und nun machte er sich zum Komplizen eines liebeskranken Tölpels, der zu viel getrunken hatte und nicht mehr bei Sinnen war. Seine erste Reise, und er versagte völlig in seinen Pflichten! Nie wieder würde der Magister ihn mitnehmen.
    Falls er überhaupt je wieder zu ihm zurückkehrte. Denn da war neben dem Grabwächter noch Garths Drohung, ihn erst dann herauszulassen, wenn er den Dolch mitbrachte. Aber wer sagte, dass Garth den Dolch nicht einfach nahm und anschließend den Zugang mit einem Felsen versperrte, um Kobbi als einzigen Mitwisser zu beseitigen?
    Kobbi schluckte. Die Angst presste Tränen aus seinen Augen. Es wird eine schöne Reise, hatte Meister Brady gesagt, ha! Sein schrecklichster Tag war es, das und nichts anderes. Und wahrscheinlich auch sein letzter. Schluchzend tappte er weiter und prallte unvermutet gegen staubigen, kalten Fels.
    Das Ende der Grabkammer war erreicht.
    Kobbi bückte sich und strich auf dem Boden herum, jederzeit darauf gefasst, einen Knochen in der Hand zu halten. Er tastete sich mit einer Hand an den Felsen entlang, mit der anderen über den Boden.
    Schließlich versiegten seine Tränen, und seine Angst verging.
    Die Erkenntnis ließ ihn innerlich erstarren.
    Hier gab es nichts. Nicht einmal einen Grabwächter.
    Und dann … hatte er es. Als er schon geglaubt hatte, alles wäre verloren und es bliebe nichts mehr. Da, endlich, war es. Nicht umsonst galten Bogins als Glücksbringer, und nun hatte er sich selbst Glück gebracht.
    Kobbi wischte sich übers Gesicht und machte sich auf den Rückweg. Er kam jetzt schneller voran, außerdem konnte er einen schwachen Lichtschimmer vor sich ausmachen, als Garth sich vor dem Eingang bewegte.
    »Ich bin da«, sagte er. »Lass mich raus.«
    »Zuerst der Dolch.«
    »Auf keinen Fall. Ich gebe ihn dir, sobald ich draußen bin.«
    »Dann bleibst du eben drin.«
    »Zusammen mit dem Dolch.«
    Eine Weile herrschte Schweigen, dann sah Garth ein, dass dieser Wortwechsel zu nichts führte. Er gab den Weg frei, und Kobbi kroch dankbar zurück ins Leben, das ihn trotz der nächtlichen Stunde warm empfing, sanft erleuchtet von silbernem Mondlicht, das in vereinzelten Strahlen zwischen den Bäumen hindurchfiel.
    Kobbi hätte sich am liebsten ins Moos geworfen und den Boden geküsst. Sein Herz schlug noch immer heftig, doch vor Glück.
    »Der Dolch!«, forderte Garth ihn auf, der liebeskranke Mann, ganz unromantisch.
    Kobbi legte den Dolch in seine ausgestreckte Hand, ohne Garth noch eines Blickes zu würdigen, drehte sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
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