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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
Autoren: Aileen P. Roberts
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Hilflos blickte er zu seinem Herrn, doch der war dermaßen beschäftigt und abgelenkt, dass er von der Entführung nichts mitbekam. Und laut um Hilfe rufen wollte Kobbi nicht, diese Demütigung tat er sich nicht an. Er würde schon einen anderen Weg finden, den jungen Mann zur Besinnung zu bringen. Also ließ er sich mitschleifen.
    Sie gingen den kurzen Weg zum Fluss, dann bog der Blonde nach links ab. Die an den Straßenseiten aufgesteckten Fackeln blieben schließlich zurück, und sie tauchten in die Nacht ein. Kobbis Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Wie viele der Kleinen Völker konnten Bogins sich nachts, solange es wenigstens Sterne gab, ganz gut zurechtfinden. Besser jedenfalls als ein Mensch, der mehrmals neben ihm stolperte, sodass Kobbi ihn stützte und schließlich führte und sich dabei fragte, was hier verkehrt war.
    Nach etwa hundert Schritten hielt der junge Mann inne und wies zum Fluss. Das Mondlicht tanzte auf den kleinen Wellen, die glucksend gegen einen Pier stießen. »Unsere Fähre.«
    »Ja?«
    »Sie führt hinüber nach Wesperton.«
    Kobbi sah die Lichter am anderen Ufer und vermutete, dass der dortige Marktflecken sich kaum von diesem hier unterschied.
    Der junge Mann packte den Bogin vorn am Kragen und riss ihn zu sich heran. Sein Atem roch so stark nach Alkohol, dass es Kobbi schwindlig wurde. »Wer hat dich geschickt?«, zischte er. »Jarod? Oder …«, er stockte kurz und schluckte. »Oder etwa Malin?«
    »Ich habe keine Ahnung, wer das ist oder wer du bist«, erwiderte Kobbi. »Und wenn du nun die Güte hättest, mich loszulassen …«
    Der Blonde ließ ihn tatsächlich los und trat einen Schritt zurück. »Ich bin Garth«, stellte er sich vor.
    »Mein Name ist Kobbi. Und würdest du mir jetzt bitte sagen, was du eigentlich von mir willst? Ich habe bis zum heutigen Tag meine Heimatstadt nie verlassen. Weil ich ein Bogin bin. Weißt du, was das bedeutet?«
    »Redet ihr Halblinge immer so viel?«, brummte Garth.
    »Dann beantworte doch einfach meine Fragen, und wir können zum Bier zurückkehren. Ich muss sowieso nach meinem Meister sehen. Es ist höchst unanständig, was ihr mit ihm da drin anstellt.«
    »Wie hält dein Meister das nur aus?« Garth hielt sich die Ohren zu. »Du bist schlimmer als meine Mutter!«
    Dennoch beschimpfte er ihn nicht mehr als Bucca. Kobbi hob die Arme und nickte auffordernd, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
    »Ich bin Zimmermannsgeselle und Schiffsbauer«, rückte Garth mit der Sprache heraus. »Hab die Fähre mit gebaut. Viel lieber würde ich eine Brücke nach drüben bauen. Aber das wird wohl nie geschehen.«
    Kobbi, der eigentlich zurück ins Gasthaus gehen wollte, verharrte. »Warum nicht?«
    »Ist so eine Sache der Alten«, antwortete Garth, und seine breiten Schultern zuckten. »Schon ewig. Sie behaupten, das würde den Frieden gefährden. Es ist alles so idiotisch.« Seine Angriffslust war völlig dahin, jetzt schien er eher kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    »Ich verstehe nicht …«
    »Vielleicht wäre alles anders, wenn ich den Dolch hätte!«, rief Garth plötzlich aus.
    »Welchen Dolch?« Kobbi war vollends verwirrt.
    »Du gehst mit! Du hast die besseren Augen, Bogin.«
    Garth packte seinen Arm, hielt ihn so fest, dass er den Griff unmöglich lösen konnte, und zerrte den jungen Bogin mit sich, auf ein Wäldchen zu. Der Mond war inzwischen vollends aufgegangen und strahlte so hell, dass sich auch ein Mensch zurechtfinden konnte. Dennoch waren die Schatten so dunkel und scharf vom Licht abgegrenzt, dass Garth mehr dahinstolperte, als dass er forsch ausschritt, weil er Hindernisse auf dem Boden nicht rechtzeitig erkennen konnte.
    »Lass mich doch endlich los!«, beschwerte sich Kobbi. Er versuchte, sich gegen den Zug zu stemmen, aber genauso viel Erfolg hätte er gehabt, wenn er einem Ochsen hätte widerstehen wollen.
    »Wir sind gleich da«, versetzte Garth. »Und du wirst mir helfen!«
    »Wobei denn? Und warum? Ich denke überhaupt nicht daran!«
    »Hör zu!« Garth blieb abrupt stehen, wirbelte zu Kobbi herum, beugte sich zu ihm herab und hielt den gestreckten Zeigefinger dicht vor sein Gesicht. Seine Miene war bedrohlich verzerrt.
    »Du wirst tun, was ich sage, oder ich töte dich, verstanden?«
    Dem jungen Bogin wurden die Knie weich. Er zweifelte nicht an der Ernsthaftigkeit der Drohung. Dennoch gab er nicht so leicht nach. »Das ist streng verboten, das weißt du«, stieß er mit etwas quietschender Stimme hervor. »Die
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