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Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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Die Familie musste Hunger leiden und die Zahl der Holzpuppen auf dem Kaminsims wurde immer größer, sie standen da wie ein stummer, nutzloser Chor. Er fluchte, als er sich in den Finger schnitt, und bemerkte erst da, dass Nadja nervös neben seinem Stuhl stand.
    »Papa«, sagte Nadja, »du darfst Karina nicht heiraten. Bitte.«
    Insgeheim hoffte sie, dass er abstreiten würde, jemals daran gedacht zu haben. Stattdessen lutschte er das Blut von seinem Daumen ab und fragte: »Wieso? Magst du Karina nicht?«
    »Nein«, antwortete Nadja aufrichtig. »Und sie mag mich auch nicht.«
    Maxim lachte und strich mit seinen rauen Fingerknöcheln über ihre Wange. »Wer sollte dich nicht lieben, meine süße Nadja?«
    »Papa …«
    »Karina ist eine gute Frau«, sagte Maxim und strich noch einmal über ihre Wange. »Es wäre besser, wenn …« Er ließ seine Hand ruckartig sinken und drehte sich wieder zum Feuer um. Sein Blick verlor sich in der Ferne, und als er sprach, klang er so kalt und fremd, als würde seine Stimme aus einem tiefen Brunnen kommen. »Karina ist eine gute Frau«, wiederholte er und packte die Armlehnen seines Stuhls. »Und nun lass mich allein.«
    Sie hat ihn schon verhext, dachte Nadja. Er ist ihr verfallen.
    Am Abend vor Hawels Abreise wurde in der Scheune des Pankin-Hofes ein Tanzvergnügen veranstaltet. In guten Jahren waren dies immer rauschende Feste gewesen, die Tische beladen mit Nüssen und Äpfeln, Honigtöpfen und Krügen mit bitterem Kwass. Jetzt tranken die Männer und die Fidel spielte, aber weder die Kiefernzweige noch der Glanz von Baba Oljas heißgeliebtem Samowar konnten darüber hinwegtäuschen, dass die Tische leer waren. Und obwohl die Gäste tanzten und klatschten, vermochten sie die gedrückte Stimmung im Saal nicht aufzuhellen.
    Genetschka Lukin wurde zur Dros Korolewa , zur Königin des Tauwetters, erkoren. Sie musste mit jedem tanzen, der sie aufforderte, denn davon versprach man sich einen kurzen Winter. Doch der Einzige, der glücklich wirkte, war Hawel. Er würde zur Armee gehen, eine Waffe tragen und auf Kosten des Zaren warme Mahlzeiten erhalten. Vielleicht würde er wie viele andere verwundet heimkehren oder sogar fallen, aber an diesem Abend war ihm die Erleichterung anzusehen: Er konnte endlich aus Duwa verschwinden.
    Nadja tanzte mit ihrem Bruder und mit Viktor Jeronow und setzte sich danach zu den Witwen, Frauen und Kindern. Ihr Blick fiel auf Karina, die neben ihrem Vater stand. Karinas Glieder waren schlank wie Birkenzweige, ihre Augen Eis auf schwarzem Wasser. Maxim schien schon etwas wackelig auf den Beinen zu sein.
    Khitka . Das Wort senkte sich von den schattenverhangenen Sparren der Scheune auf Nadja hinab, als sie sah, wie Karina sich bei ihrem Vater unterhakte. Karinas Arm, fand Nadja, glich der bleichen Ranke einer Kletterpflanze, aber sie schob diesen albernen Gedanken beiseite und sah Genetschka Lukin, der man rote Schleifen in das lange, goldblonde Haar geflochten hatte, beim Tanzen zu. Nadja wurde bewusst, dass sie neidisch war, und sie schämte sich dafür. Sei nicht dumm, schalt sie sich, während sie beobachtete, wie sich Genetschka mit dem schwankenden Anton Kozar abmühte, der den linken Arm auf seine Krücke und den rechten fest um Genetschkas Taille gelegt hatte. Ja, es war ein lächerliches Gefühl, aber so war es nun einmal.
    »Begleite Hawel«, sagte jemand neben ihr.
    Nadja erschrak. Sie hatte nicht bemerkt, dass Karina an ihre Seite getreten war. Sie blickte zu der schlanken Frau auf, sah ihre dunklen Haare, die sich an ihrem weißen Hals ringelten. Dann wandte sie sich wieder dem Tanz zu. »Du weißt genau, dass das nicht geht. Ich bin noch zu jung.« Man würde Nadja erst in zwei Jahren einziehen.
    »Dann musst du eben lügen.«
    »Dies ist meine Heimat«, flüsterte Nadja zornig und schämte sich der Tränen, die ihr in die Augen zu treten drohten. »Du kannst mich nicht einfach wegschicken.« Das würde mein Vater nicht dulden, fügte sie insgeheim hinzu. Doch ihr fehlte der Mut, diese Worte laut auszusprechen.
    Karina beugte sich zu Nadja hinab. Als sie lächelte, teilten sich ihre feuchten, roten Lippen und enthüllten viel zu viele Zähne – jedenfalls kam es Nadja so vor.
    »Hawel kann jagen und arbeiten«, flüsterte Karina. Sie wickelte eine von Nadjas Locken um den Finger und zog daran, bis es wehtat. »Aber du bist nichts als ein weiteres hungriges Maul.« Nadja wusste, dass ihr Vater, wäre sein Blick zufällig auf sie gefallen,
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