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Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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Gostow überlistet hatte.
    »Du bist ein schlauer Fuchs«, sagte sie, nachdem er zu Ende erzählt hatte.
    »Oh, nein«, erwiderte Koja. »Ich bin der schlaueste. Das ist der entscheidende Unterschied. Und nun erzähl mir von deinem Bruder.«
    Sofija sah zur Sonne auf. Die Mittagsstunde war lange vorüber.
    »Morgen«, sagte sie. »Wenn ich auf dem Heimweg bin.«
    Sie ließ den Käse auf dem umgestürzten Baumstamm liegen, und sobald sie gegangen war, beschnüffelte Koja den Kanten. Er schaute nach links und er schaute nach rechts, und dann verschlang er den ganzen Käse auf einmal, ohne einen einzigen Gedanken an die armen, hungrigen Witwen zu verschwenden.
    Koja ahnte, dass er besonders behutsam sein musste, wenn er Sofijas Zunge lösen wollte. Er wusste, wie es war, in einer Falle zu sitzen, und Sofija saß schon sehr lange in einer solchen. Vielleicht war sie ein weniger gewieftes Geschöpf und mochte nicht beherzt nach der Freiheit greifen, sondern lebte stattdessen lieber weiter in Angst. Also wartete Koja am nächsten Tag auf ihre Rückkehr vom Witwenheim, hielt sich aber auf der Lichtung versteckt. Schließlich kam sie auf dem Hügel in Sicht, im Schlepptau den schweren Schlitten, dessen Kufen tief in den Schnee sanken. Die Wolldecken waren mit Schnüren zusammengebunden. Beim Erreichen der Lichtung hielt sie inne. »Fuchs?«, rief sie leise. »Koja?«
    Erst bei ihrem Ruf kam er zum Vorschein.
    Sofija schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. Sie sank auf den umgestürzten Baumstamm und erzählte dem Fuchs von ihrem Bruder.
    Jurek war ein Langschläfer, betete aber regelmäßig. Er badete in eiskaltem Wasser und aß jeden Morgen sechs Eier zum Frühstück. An manchen Tagen ging er in die Schenke, an anderen säuberte er Häute. Und manchmal schien er spurlos zu verschwinden.
    »Bitte denk genau nach«, sagte Koja. »Besitzt dein Bruder etwas, das für ihn von großem Wert ist? Trägt er vielleicht eine Ikone mit sich herum? Einen Talisman, eventuell auch ein Kleidungsstück, das er auf jede Reise mitnimmt?«
    Sofija dachte nach. »Er trägt ein Säckchen an der Uhrkette. Es wurde ihm vor vielen Jahren von einer alten Frau geschenkt, die er vor dem Ertrinken gerettet hatte. Wir waren noch Kinder, aber Jurek war schon damals kräftiger als alle anderen Jungen. Nachdem die Alte in den Sokol gestürzt war, sprang er hinterher und brachte sie an Land.«
    »Bedeutet ihm das Säckchen viel?«
    »Er nimmt es nie ab und hält es selbst im Schlaf in der Hand.«
    »Die Alte muss eine Hexe gewesen sein«, sagte Koja. »Dieser Talisman erlaubt es ihm, die Wälder lautlos zu durchstreifen und dabei keine einzige Spur zu hinterlassen. Du musst ihm das Säckchen stehlen.«
    Sofija erbleichte. »Nein«, erwiderte sie. »Das ist unmöglich. Mein Bruder schnarcht zwar wie ein Bär, hat aber einen leichten Schlaf, und wenn er mich in seiner Kammer ertappen würde …« Sie erschauderte.
    »Komm in drei Tagen wieder«, sagte Koja. »Bis dahin habe ich eine Lösung für dich gefunden.«
    Sofija stand auf und klopfte den Schnee von ihrem grausigen Mantel. Sie musterte den Fuchs mit einem ernsten Blick. »Verlange nicht zu viel von mir«, sagte sie leise.
    Koja kam einen Schritt näher. »Ich befreie dich aus deiner Falle«, sagte er. »Ohne den Talisman muss dein Bruder ein ganz gewöhnliches Leben führen. Dann wird er an einen Ort gebunden sein und du wirst einen Liebsten finden.«
    Sie wickelte sich das Schlittenseil um die Hand. »Vielleicht«, sagte sie. »Aber ich muss erst den Mut dazu aufbringen.«
    Koja brauchte anderthalb Tage bis zum Marschland. Dort wuchs Mädesüß. Er grub die Pflänzchen vorsichtig aus. Die Wurzeln waren tödlich, aber die Blätter würden ausreichen, um Jurek zu betäuben.
    Als er in den heimischen Wald zurückkehrte, herrschte helle Aufregung unter den Tieren. Die Wildschweinbache Tatja und ihre drei Jungen waren verschwunden. Am folgenden Nachmittag entdeckte man die vier auf dem Marktplatz der Stadt, auf Spießen über einem großen Feuer bratend. Der Dachs und seine Familie bereiteten sich auf die Flucht vor, und sie waren nicht die Einzigen.
    »Er hinterlässt keine Spuren!«, rief der Dachs. »Seine Flinte schießt lautlos! Er ist ein übernatürliches Wesen, Fuchs, und du kommst mit all deiner Schlauheit nicht gegen ihn an.«
    »Bleibt«, sagte Koja. »Er ist ein Mensch und kein Ungeheuer, und sobald ich ihn seines Talismans beraubt habe, wird er für uns nicht mehr unsichtbar sein. Dann ist der
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