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Grippe

Grippe

Titel: Grippe
Autoren: Wayne Simmons.original
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trat er ihn zurück; bessere Schuhe als diese Docs hatte er noch nie gehabt. Bis zum Dach waren es nur ein paar Sprossen, und nachdem er oben herausgekrochen war, klappten er und Geri die Luke über dem Leiterkasten zu. Sie drückten den Verschluss so fest zu, wie es mit menschlicher Kraft möglich war.
    Dann ließen sie sich atemlos auf den Dachplatten nieder. Lark schaute Geri an, während die frische Höhenluft seinen Schweiß trocknete. Sie erwiderte den Blick, und aus irgendeinem Grund, den sie beide nicht kannten, fingen sie zu lachen an.

    Immer noch hörten sie es. Sie waren ja direkt unter ihnen, ihr Grummeln und Husten, ihr zielloses Umherwandern von einem Ende des Gangs zum anderen, verwirrt und enttäuscht darüber, dass sie ihre Beute verloren hatten. Es war, als hätte jemand einem Kinderspiel Einhalt geboten: Verstecken ist vorbei; zurück ins Klassenzimmer.
    Das Rauschen der Feuersbrunst war leiser geworden, doch Geri befürchtete, das Gebäude werde lichterloh in Flammen aufgehen, da die Toten wie übergroße Feuerwerkskörper durch die Korridore zuckten. Da spendete der sanft plätschernde Regen nur wenig Trost, doch sie dankte es welchem Gott auch immer, der gerade zuhörte, dass er ihnen diese geringfügige Gnade schenkte. Sie hoffte, der Schauer genügte, um den Brand zu löschen. Während der für Belfast unvermeidliche Regenguss die Hitzewelle beendete, suchte sie Schutz unter einer vorspringenden Backsteinwand. Der Wolkenbruch tilgte nicht allein die Flammen, sondern ließ Geri darüber hinaus daran glauben, dass sich etwas veränderte. So viel Schlimmes war geschehen, dass es eigentlich nur besser werden konnte.
    Sie wiegte das Mädchen in den Armen und rieb ihre nackte Haut, um es aufzuwärmen, da der Regen zunahm. Das Kind weinte nicht und behielt sich auch jedwede weitere Klage vor. Es wirkte entspannt, beinahe zufrieden, als die Tropfen sein Gesicht besprengten, als stünde es unter der Dusche. Geri wusste nichts über die Kleine. Nicht einmal die andere junge Frau kannte sie, mit der sie nur wenige Worte gewechselt hatte, ehe sie zu früh gestorben war. Das Mädchen jedenfalls strahlte etwas Besonderes aus, eine positive Energie. Selbst jetzt kam es Geri vor, als wärme das Kind vielmehr sie mit seiner Umarmung.
    Auch im übergeordneten Sinn war dieses Mädchen anders, nämlich was ihr Menschsein betraf: Geri glaubte, das Kind sei, nachdem es dieses Chaos überlebt hatte, zu einer neuen Sicht auf diese Welt bestimmt. Die Kleine lebte für den Moment, und was gab es, das einen größeren Zauber besaß? Die herzliche Umarmung eines Fremden und frisch dahinplätschernder Sommerregen gereichten ihr zur Erbauung – und indem sie Kraft schöpfte, spendete sie auch Geri welche.
    Sie ließ den Blick über das nass werdende Dach schweifen. Schon erhob sich ein warmer Nebel über den Pfützen. Das erinnerte sie an jenen Moment im Badezimmer, kurz bevor George in ihr Leben getreten war. Ihr Omen. Später hatte er ihr erzählt, sie seien darauf gekommen, dass jemand in dem Haus lebte, weil sie gesehen hatten, wie der Wasserdampf aus dem Fenster gequollen war. Damals hatte sich ihr Schicksal gewendet, und jetzt wettete sie nur zu gern darauf, dass dieser Nebel, der aus dem Nass emporstieg, ebenfalls Umschwung verhieß.
    Lark stand breitbeinig gegenüber und pinkelte hinunter. Geri lächelte. Er strahlte überhaupt keinen Zauber aus, sondern war so schmutzig wie das Dach, nun da der Regen den Schmand zahlreicher Jahre aufweichte. Nichtsdestoweniger hätte sie ihn nicht missen wollen. Das Salz der Erde, dachte sie verschmitzt.
    »Ha! Kommt und wascht euch, ihr stinkenden Penner!«, spöttelte er.
    »Das ist ätzend«, erwiderte sie mit anhaltendem Lächeln.
    »Nicht die Bohne«, gackerte er, während er weiter herausließ, was sich offenbar viel zu lange angestaut hatte. »Weißt du, was viel ätzender ist?« Er drehte sich bereits um, als er die letzten Tropfen abschüttelte. »All das hier …«, antwortete er sich selbst, indem er den Arm zur Verdeutlichung gen Horizont ausstreckte. »Die Tatsache, dass Liebe und Hass, Trauer und Freude auf dieser Welt von dem verfickten Grippevirus aufgefressen werden. Und wir stehen hier über allem und beten nicht einmal darum, dass es irgendjemand aufhält. Wir stehen im Regen und Wind, während diese Wichser in den Wohnungen unter uns hausen! Während sie es wärmer und trockener haben, während sie sich ins Fäustchen lachen .« Als er den Blick über die
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