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Gregor und der Spiegel der Wahrheit

Gregor und der Spiegel der Wahrheit

Titel: Gregor und der Spiegel der Wahrheit
Autoren: S Collins
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vereisten Gehwegen vorwärtszukommen. Sie sprach oft davon, dass sie Angst hatte, zu fallen und sich die Hüfte zu brechen. Gregor war froh, sich sein Geld jetzt auch wirklich verdienen zu können.
    Heute hatte sie eine lange Liste mit Besorgungen für ihn. Er musste zur Reinigung, zum Gemüsehändler, zum Bäcker, zur Post und zum Haushaltswarengeschäft. Wie immer sorgte Mrs Cormaci erst einmal für seinen Magen. »Hast du schon gegessen?« Das war nicht der Fall, aber sie ließ ihm gar keine Zeit zu antworten. »Egal, bei dieser Kälte kann man auch zweimal essen.« Sie stellte eine große Schale dampfenden Haferbrei mit Rosinen und braunem Zucker auf den Tisch. Dann schenkte sie ihm Orangensaft ein und bestrich mehrere Scheiben Toast mit Butter.
    Als Gregor fertig war, fühlte er sich für jedes Wetter gerüstet, und das war gut so, denn sie hatten minus zehn Grad, und die gefühlte Temperatur lag noch weit darunter. Er arbeitete die Einkaufsliste ab und lief von einem Laden zum anderen. Wenn er anstehen musste, war er dankbar, so konnte er wenigstens wieder auftauen. Als er die Einkäufe auf Mrs Cormacis Küchentisch abgeladen hatte, wurde er mit einer großen Tasse heißem Kakao belohnt. Dann packten sie sich beide dick ein, um zur Bank und zum Spirituosengeschäft zu gehen, denn dort konnte Gregor allein nichts ausrichten. Als sie draußen waren, wurde Mrs Cormaci nervös. Sie klammerte sich an Gregors Arm, und gemeinsam wichen sie dem Glatteis aus, den Fußgängern, die so dick in ihre Schals eingemummelt waren, dass sie kaum etwas sahen, und den schlingernden Taxis. In der Bank konnten sie sich aufwärmen – sie mussten am Schalter anstehen, denn Mrs Cormaci traute den Geldautomatennicht. Dann gingen sie zum Spirituosengeschäft, wo Mrs Cormaci eine Flasche Rotwein für ihre Freundin Eileen zum Geburtstag kaufte. Auf dem Heimweg bekam Mrs Cormaci so kalte Hände, dass sie in dem Moment, als Gregor die Wohnungstür aufschloss, den Wein fallen ließ. Die Flasche zerbrach auf den Fliesen, und der Wein spritzte über den kleinen Teppich im Eingang.
    »Das war’s, Eileen kriegt Konfekt«, sagte Mrs Cormaci. »Ich hab noch eine ungeöffnete Schachtel Cremepralinen. Habe ich zu Weihnachten bekommen. Hoffentlich nicht von Eileen.« Gregor blieb vor der Tür stehen, während sie die Scherben aufsammelte, dann reichte sie ihm den Teppich. »Komm, den bringen wir sofort in den Wäschekeller, sonst gehen die Flecken nicht mehr raus.«
    In den Wäschekeller! Während sie Waschmittel und Fleckenentferner aus der Abstellkammer holte, versuchte Gregor sich eine Ausrede einfallen zu lassen, weshalb er nicht mitkommen könnte. Er konnte schließlich kaum sagen: »Ich kann aber nicht in den Wäschekeller gehen. Meine Mutter hat Angst, dass eine Riesenratte ankommt und mich meilenweit unter die Erde zerrt und auffrisst.« Bei genauerer Betrachtung gab es so gut wie keinen Grund, weshalb man nicht in den Wäschekeller gehen konnte. Also ging er mit.
    Mrs Cormaci sprühte den Teppich mit Fleckenentferner ein und steckte ihn in eine Waschmaschine. Dann suchte sie in ihrem Portemonnaie nach Fünfundzwanzigcentstücken, und weil ihre Finger von der Kälte immer noch steif waren,glitt ihr eins aus der Hand und fiel auf den Zementboden. Es rollte durch den Raum und fiel klirrend gegen den letzten Trockner. Gregor lief hin, um die Münze für Mrs Cormaci aufzuheben. Als er sich bückte, sah er aus dem Augenwinkel etwas und stieß sich den Kopf am Trockner.
    Gregor blinzelte, um sich zu überzeugen, dass es keine Einbildung war. Es war keine Einbildung. Zwischen dem Rahmen des Gitters und der Wand steckte eine Schriftrolle.

2. Kapitel
    H ast du dir wehgetan?«, fragte Mrs Cormaci und füllte Waschmittel in die Maschine.
    »Ist nicht so schlimm«, sagte Gregor und rieb sich den Kopf. Er hob das Fünfundzwanzigcentstück auf und widerstand dem Impuls, die Schriftrolle herauszuziehen. Er versuchte so zu tun, als ob nichts wäre, und gab Mrs Cormaci das Geldstück.
    Mrs Cormaci warf es ein und schaltete die Waschmaschine an. »Na, wie wär’s jetzt mit Mittagessen?«, fragte sie.
    Gregor blieb nichts anderes übrig, als ihr zum Aufzug zu folgen. Er konnte die Schriftrolle nicht vor ihren Augen an sich nehmen. Sie würde fragen, was es war, und da sie die Geschichten, die er erfand, um den Aufenthalt seiner Familie im Unterland zu vertuschen, sowieso schon nicht recht glauben wollte, würde ihm bestimmt nichts Überzeugendes einfallen.
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