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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder
Autoren: Melissa Marr
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Frau, die fast einmal ein Mitglied seiner Familie geworden wäre, und legte zusammen mit dem Techniker ihren Körper behutsam in den Sack, zog ihn aber noch nicht zu. Byron richtete sich auf und streifte die blutigen Handschuhe ab.
    Chris’ Blick richtete sich auf Maylenes Leichnam in der noch offenen Hülle. Schweigend nahm er die Tüte mit dem Gefahrenstoff-Symbol und schob sie dem Techniker zu. Dann beugte sich der Sheriff hinunter und zog den Reißverschluss zu, bis Maylene nicht mehr zu sehen war. »Es ist nicht in Ordnung, dass sie so aussieht.«
    »Und es ist nicht in Ordnung, die Vorderveranda zu kontaminieren«, gab Byron zurück, ließ die Handschuhe in die Gefahrenstoff-Tüte fallen, zog den Overall aus und schob ihn sorgfältig ebenfalls hinein.
    Chris ging in die Hocke, schloss die Augen und flüsterte etwas. Dann stand er auf. »Komm schon! Bring sie von hier fort!«
    Der Blick, den er Byron zuwarf, war eine einzige Anklage, und einen Moment lang hätte Byron ihn am liebsten angeknurrt. Es mangelte ihm ja nicht an Hochachtung vor den Toten. Er hatte durchaus Respekt vor ihnen. Er kümmerte sich um sie und schenkte ihnen mehr Zuwendung, als viele Menschen im Leben erfahren hatten, aber er stand nicht da und weinte. Das konnte er nicht. Distanz war ebenso grundlegend, wie es die anderen Werkzeuge eines Bestatters waren. Ohne sie konnte er diese Arbeit nicht verrichten.
    Manche Todesfälle gingen ihm näher als andere – Maylenes Tod gehörte dazu. Sie hatte ein Büro im Bestattungshaus seiner Familie und war seinem Vater seit Langem verbunden. Sie hatte die einzigen beiden Frauen großgezogen, die er je geliebt hatte. Maylene hatte praktisch zur Familie gehört – aber das hieß nicht, dass er hier um sie trauern würde.
    Schweigend und vorsichtig trugen Byron und Chris Maylene zu der Bahre, die Byron vor der Tür abgestellt hatte, und schoben sie dann in den bereitstehenden Leichenwagen.
    Sobald die Hintertür des Wagens geschlossen war, holte Chris mehrmals tief Luft. Byron bezweifelte, dass der Sheriff je in einem Mordfall ermittelt hatte. Es mochte ja seltsam hier zugehen, aber Claysville war die sicherste Stadt, die er kannte. In seiner Jugend hier hatte er nicht geahnt, wie selten das war.
    »Chris? Falls du Hilfe brauchst, ich kenne da ein paar Leute, die ich anrufen könnte.«
    Der Sheriff nickte, wich aber Byrons Blick aus. »Sag deinem Vater …« Seine Stimme brach, und er räusperte sich, bevor er weitersprach. »Sag ihm, dass ich Cissy und die Mädchen anrufe.«
    »Wird gemacht«, versicherte Byron ihm.
    Chris ging ein paar Schritte von ihm fort. Er blieb vor der Tür stehen, durch die sie herausgetreten waren, sah sich aber nicht mehr um. »Irgendjemand muss es Rebekkah sagen. Cissy wird es wohl nicht tun, aber sie muss gleich nach Hause kommen.«

2. Kapitel
    Rebekkah hatte den größten Teil des Tages draußen verbracht und war mit einem Skizzenblock durch die historische Altstadt geschlendert. Zurzeit hatte sie keine Aufträge, aber sie spürte auch keine Inspiration, selbst kreativ zu werden. Manche Künstler kamen mit täglicher Disziplin zurecht, doch sie hatte schon immer entweder einen Abgabetermin gebraucht oder musste von einer Vision besessen sein. Leider hieß dies, dass sie kein Ventil für die rastlose Energie fand, die sie in letzter Zeit verspürte, also ging sie mit einem Skizzenblock und einer alten Spiegelreflexkamera spazieren. Als weder das Zeichnen noch das Fotografieren geholfen hatten, war sie in die Wohnung zurückgekehrt, nur um mehr als ein Dutzend entgangener Anrufe von einer unbekannten Nummer vorzufinden – aber keine Nachrichten.
    »Ein unruhiger Tag und merkwürdige Anrufe. Hm. Was meinst du dazu, Cherub?« Rebekkah blickte aus dem Fenster und strich ihrem Kater über den Rücken.
    Sie lebte erst seit drei Monaten in San Diego, aber diese innere Unruhe war schon wieder da. Sie hatte noch fast zwei Monate Zeit, bis Steven zurückkommen und seine Wohnung beanspruchen würde, doch sie war schon jetzt zum Weiterziehen bereit.
    Heute fühlt es sich schlimmer an, dachte sie.
    Nichts sah richtig aus, fühlte sich ganz richtig an. Der strahlend blaue Himmel Kaliforniens wirkte blass; das Cranberrybrot, das sie aus der Bäckerei auf der anderen Straßenseite mitgenommen hatte, schmeckte nach nichts. Ihre typische Nervosität betäubte gewöhnlich nicht ihre Sinne, aber heute kam ihr alles irgendwie stumpf vor.
    »Vielleicht bin ich ja krank. Was meinst
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