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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder
Autoren: Melissa Marr
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Strafzettel oder nur eine Standpauke zu erwarten hatte.
    »Für deinen Fahrstil hätte deine Mama dich windelweich geprügelt.« Chris hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Das ist dir doch wohl klar.«
    Byron nahm den Helm ab. »Ja, das hätte sie wohl.«
    »Legst du’s darauf an, verhaftet zu werden?« Chris starrte ihn finster an.
    »Nein.« Byron stieg vom Motorrad.
    »Willst du dich umbringen?«
    »Nein, auch das nicht. Ich musste mich nur entspannen. Das solltest du eigentlich verstehen«, meinte Byron leichthin. »In der Highschool hast du selbst genug Unfälle gebaut.«
    »Nun ja, inzwischen bin ich vernünftiger … und ich habe Kinder, für die ich sorgen muss. Heute kriegst du keinen Strafzettel, aber glaub bloß nicht, dass ich in Zukunft regelmäßig in die andere Richtung sehe.« Chris schüttelte den Kopf und stieß sich vom Wagen ab. »Schätze, du willst noch einmal hinein.«
    Bei diesem einfachen Satz stutzte Byron. Das Gesetz in Claysville war relativ. Chris und der Stadtrat hatten bei allen juristischen Problemen das letzte Wort – und manchmal auch in sozialen Angelegenheiten. In jedem anderen Ort, in dem Byron gelebt hatte, hätte er nicht einfach ins Haus einer Toten marschieren dürfen. In einer richtigen Stadt hätte ihm die Polizei nicht erlaubt, seine Neugier zu befriedigen. Aber wenn Chris ihn eintreten ließ, dann kam das einem Durchsuchungsbefehl gleich.
    Byron warf seine Jacke ab und legte sie über den Motorradsitz. »Hast du Spuren gefunden, die das Ganze wenigstens teilweise erklären?«
    Chris hatte gerade über Maylenes Weg gehen wollen, hielt nun aber inne und sah zu Byron zurück. Seine Haltung – zurückgenommene Schultern, gerecktes Kinn und ein schiefes Lächeln – wirkte herausfordernd. »Warum machst du so ein Aufheben darum? Das hat nichts zu sagen, Byron.« Chris wartete, bis Byron ihn eingeholt hatte. »Maylene ist tot«, sagte er dann. »Und was immer passiert sein mag, es ist nicht rückgängig zu machen. Sie ist tot. Die Tür stand offen, und jemand hat sie überfallen.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht. Ich habe sie gesehen . Wir könnten doch nach Fingerabdrücken oder … etwas Ähnlichem suchen.« Byron war kein Polizist und hätte nicht einmal gewusst, nach welchen Spuren er Ausschau halten sollte – oder ob er sie gegebenenfalls überhaupt erkennen würde. »Ich könnte ein paar Leute anrufen. Eine Frau, die ich in Atlanta kennengelernt habe, hat gerade eine forensische Ausbildung abgeschlossen. Vielleicht wäre sie bereit, herzukommen und …«
    »Warum?«
    » Warum? « Byron blieb wie angewurzelt stehen. »Um herauszufinden, wer Maylene ermordet hat.«
    Chris warf ihm den gleichen undeutbaren Blick zu, der auch William eigen war. Es war unangenehm, diesen Ausdruck auf dem Gesicht eines Mannes zu entdecken, mit dem er früher Partys gefeiert hatte. »Wahrscheinlich ist der Täter längst über alle Berge. Sinnlos, die Straßen nach einem Landstreicher abzusuchen. Maylene ist tot. Es brächte gar nichts, herumzulaufen und Fragen zu stellen. Weder dir noch Bek.«
    Byron hielt inne. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber teilweise war das der Grund: Er wollte etwas zu sagen haben, wenn er Rebekkah gegenübertrat. Wenigstens das hatte er gehabt, als seine Mutter gestorben war: eine Erklärung, eine wie auch immer geartete Antwort. Das hatte den Verlust nicht weniger schwer gemacht, doch es hatte geholfen.
    Ich kann sie nicht davor beschützen, dachte er. Ich kann es nicht in Ordnung bringen … Und ich werde auch nicht damit fertig, wenn sie mir wieder die Schuld gibt.
    »Mach einfach die Tür auf!« Byron wies auf den Schlüssel in Chris’ Hand.
    Chris steckte den Schlüssel ins Schloss und stieß die Tür auf. »Nur zu!«
    Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden trat Byron über die Schwelle des Hauses, in dem er fast ein Jahrzehnt lang nicht gewesen war. Eine der letzten Gelegenheiten war der Tag gewesen, an dem Ella und Rebekkah versucht hatten, ihn durch das Fenster im ersten Stock ins Haus zu schmuggeln. Die Mädchen hatten ihm kichernd den Mund zugehalten, und dann waren sie alle übereinandergekugelt, aber für alles andere zu high gewesen.
    »Sie braucht vor allem einen Freund. Ich weiß, ihr hattet euer … wie auch immer. Aber du musst für sie da sein.« Chris blieb gleich hinter der Tür stehen. Die Küche war inzwischen makellos sauber. Keine Teller im Trockengestell, kein Blut auf dem Boden.
    »Es wurde schon
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