Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman
Autoren: Eichborn-Verlag
Vom Netzwerk:
Schülerinnen, die fasziniert auf das Tableau starrte.
    »Selbstverständlich«, antwortete der Lehrer, ein älterer Blauer, der es besser hätte wissen müssen. »Und wenn du deinen Eltern nicht gehorchst, die Regeln nicht befolgst und dein Gemüse nicht isst, kommen sie auch zu dir und fressen dich.«
    Ich selbst hatte so meine Zweifel an diesen lächerlichen Behauptungen über das Verhalten von Gesindel, aber ich behielt sie für mich. Historische Theorie war im Grunde Wilde Theorie, mehr nicht.
    Wie sich herausstellte, konnte der Phonograph doch nicht vorgeführt werden, denn sowohl das Gerät als auch die Musikscheibe waren mit einem sehr großen Hammer »außer Betrieb« gesetzt worden. Es war keine Böswilligkeit, sondern eine notwendige Maßnahme im Zusammenhang mit Fragen der Rücksprung-Konformität. Irgendein Blödmann hatte vergessen, das Gerät auf die Liste der diesjährigen Ausnahmezertifikate setzen zu lassen. Das Museumspersonal schien leicht verärgert darüber, denn mit der Zerstörung des Artefakts reduzierten sich die Vorführ-Phonographen des Kollektivs auf ein einziges Exemplar in Kobalts Museum für Das Große Ereignis.
    »Aber ganz so schlimm war es auch wieder nicht«, fügte der Kurator hinzu, ein Roter mit sehr buschigen Augenbrauen. »Wenigstens darf ich jetzt behaupten, als letzte Person Mr Simply Red gehört zu haben.«
    Nachdem wir detailliert Feedback gegeben hatten, verließen wir das Museum und machten uns auf den Weg zum Stadtpark.
    Unterwegs hielten wir bewundernd an einem eindrucksvollen, uralten Wandgemälde an, das die gesamte Fläche eines Backsteingiebels zierte. Es forderte ein längst dahingeschwundenes Publikum auf: »Trink Ovomaltine und du bleibst gesund und lebensfroh.« Auf dem Bild waren eine Tasse zu sehen und zwei glückliche Kinder, die mit fußballgroßen Augen zufrieden und sehnsuchtsvoll in die Welt blickten. Obwohl verblasst, waren an den Lippen und dem Schriftzug noch immer rote Farbkomponenten zu erkennen. Prä-Epiphanische Wandgemälde waren selten, und wenn es sich um Darstellungen der Einstigen handelte, rundweg gruselig. Besonders die Augen. Die Pupillen waren, anders als die feinen, sauberen Punkte normaler Leute, unnatürlich weit und dunkel, und sie waren leer, ganz so als wären die Köpfe, in denen die Augen steckten, hohl – was dem Ausdruck von Glück auf den Gesichtern etwas seltsam Gekünsteltes verlieh. Wir blieben kurz stehen und gingen dann weiter.
    Colorierte Gärten waren für jeden Besucher Pflichtprogramm, und was Zinnober in der Hinsicht zu bieten hatte, enttäuschte uns nicht. Der Garten war innerhalb der Stadtmauern angelegt, in der Nähe der Brücke, eine blattreiche Enklave im Halbschatten, mit Brunnen, Pergolen, Kieswegen, Statuen und Blumenbeeten. Es gab sogar einen Musikpavillon und einen Eisstand, nur keine Musik und auch kein Eis. Das wirklich Besondere an Zinnobers Garten jedoch war, dass die Farbe direkt aus dem Versorgungsnetz eingespeist wurde, wodurch alles außergewöhnlich hell leuchtete. Wir spazierten zur Hauptwiese, unmittelbar hinter dem malerisch efeuumrankten Rodin, und bestaunten die weite Fläche aus synthetischem Grün. Sie stellte eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Garten zu Hause dar, denn die ganze Anlage war auf die hiesige Überzahl Roter Augen eingestellt. In Jade-unter-der-Limone lag der Schwerpunkt eher auf Personen, die Grün sehen konnten, wodurch der Rasen für unsereins so gut wie gar keine Farbe bekam und alles Rote viel zu hell wurde. Hier dagegen herrschte ein nahezu perfektes Farbgleichgewicht, und schweigend genossen wir die raffinierte chromatische Symphonie, die sich vor uns abspielte.
    »Ich würde meine linke Klöte hergeben, wenn ich im Roten Sektor wohnen könnte«, sagte mein Vater in einem seltenen Anflug von Derbheit.
    »Die linke hast du schon vergeben«, erinnerte ich ihn. »In der vagen Hoffnung, dass der Alte Magenta frühzeitig in Rente geht.«
    »Wirklich?«
    »Letzten Herbst, nach dem Zwischenfall mit dem Rhinosaurus.«
    »Ein Vollidiot, der Mann«, sagte mein Vater und schüttelte traurig den Kopf. Der Alte Magenta war unser Oberpräfekt und hätte wahrscheinlich, wie viele Purpurne, schon Probleme damit, sich selbst im Spiegel zu erkennen.
    »Glaubst du, dass Gras wirklich diese Farbe hat?«, fragte mich mein Vater nach längerem Schweigen.
    Ich zuckte mit den Schultern. Die Frage ließ sich kaum beantworten. Man konnte höchstens sagen, dass NationalColor der Meinung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher