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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman
Autoren: Eichborn-Verlag
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war, Gras sollte diese Farbe haben. Das war aber auch alles. Fragte man einen Grünen, wie grün das Gras sei, fragte der dich zurück, wie rot ein Apfel sei. Interessanterweise war das Gras jedoch nicht überall gleichmäßig grün. Eine etwa tennisplatzgroße Stelle am hinteren Ende des Rasens hatte sich in ein hässliches Blaugrün verfärbt. Diese Ungleichförmigkeit weitete sich wie ein Wasserfleck aus, die Farbabweichung hatte bereits einen Baum und einige Blumenbeete erreicht, die jetzt ungewöhnliche, weit außerhalb der Botanischen Standardskala liegende Farbtöne angenommen hatten. Irritiert beobachteten wir, wie jemand in der Nähe der Anomalie in eine Zugangsluke starrte, und gingen hinüber, um uns das anzusehen.
    Wir hatten gedacht, er wäre ein Ingenieur von NationalColor, der sich des Problems annahm, aber es war ein Roter Parkwächter. Er sah auf unsere Farbkennzeichen und begrüßte uns freundlich.
    »Probleme?«, fragte mein Vater.
    »Schlimmer geht es gar nicht«, antwortete der Parkwächter entnervt. »Schon wieder eine Verstopfung. Ständig verspricht der Rat, den Park neu verrohren zu lassen, aber wenn es mal Geld gibt, wird es für Frühwarnsysteme gegen Schwäne, für Blitzableiter oder anderen Schnickschnack ausgegeben.«
    Er redete freimütig, aber wir waren ja unter uns, deswegen konnte er sich sicher fühlen.
    Neugierig spähten wir in die Zugangsluke, durch die die Cyanblau-, Gelb- und Magenta-Farbeinspeisungsrohre ihren Stoff in einen der zahlreichen, exakt kalibrierten Mischer einleiteten, um die für Gras, Sträucher und Blumen jeweils nötigen Tönungen zu erzielen. Von hier aus wurde das unter dem Park verlegte Netz aus Kapillaren versorgt. Die Colorierung von Gärten war eine hochkomplexe Angelegenheit, bei der es in erster Linie auf die Abstimmung der osmotischen Koeffizienten der verschiedenen Pflanzen mit dem jeweils spezifischen Gewicht des Farbstoffs ankam – bevor man sich den Problemen der Druckdichte, Verdampfungsrate und jahreszeitlich bedingten Farbvariationen widmen konnte. Coloristen mussten sich ihre Vergünstigungen und Boni hart erarbeiten.
    Ich konnte mir gut vorstellen, was der Haken war, auch ohne einen Blick auf den Strömungsmesser. Die blaugrüne Schattierung des Rasens, der gräuliche Schimmer auf dem Scharbockskraut und der purpurrote Mohn wiesen auf einen lokalen Gelbmangel hin, und tatsächlich, so war es auch – der gelbe Strömungsmesser stand starr auf null. Der Sichtschlitz dagegen zeigte jede Menge Gelb, es gab also keine Versorgungslücke im Park-Unterwerk.
    »Ich glaube, ich weiß, wo das Problem liegt«, sagte ich vorsichtig, schließlich wusste ich nur zu gut, dass unerlaubte Manipulation am Besitz von NationalColor eine Strafe von 500 Meriten nach sich zog.
    Der Parkwächter sah erst mich an, dann meinen Vater, dann wieder mich. Er biss sich auf die Lippe, kratzte sich am Kinn, schaute sich um und senkte die Stimme beim Sprechen.
    »Lässt es sich schnell beheben?«, fragte er. »Um drei Uhr haben wir eine Hochzeit. Es sind zwar nur Graue, aber man will sich ja nicht lumpen lassen.«
    Ich sah zu meinem Vater, der mir zunickte, und ich zeigte auf das Rohr.
    »Der gelbe Strömungsmesser klemmt. Der Rasen bekommt nur die Cyan-Komponente von Grasgrün. Und obwohl ich natürlich niemals eine Regelübertretung gutheißen könnte«, fügte ich noch rasch hinzu, damit ich auf der sicheren Seite war, falls sich plötzlich alles braun verfärbte, »denke ich doch, dass ein gut platzierter Schlag mit einem Schuhabsatz den Schaden beheben würde.«
    Der Parkwächter schaute sich noch mal um, zog einen Schuh aus und befolgte meinen Rat. Fast umgehend war ein gurgelndes Geräusch zu vernehmen.
    »Da kann man ja gelb vor Neid werden«, sagte er. »So einfach ist das? Hier.«
    Er steckte mir eine halbe Merite zu, bedankte sich und zog los, um die Grasschnitte zur Cyan-Gelb-Rückgewinnung einzusammeln.
    »Woher wusstest du das?«, fragte mich mein Vater, als wir außer Hörweite des Mannes waren.
    »Zufällig aufgeschnappt«, antwortete ich.
    Vor ein paar Jahren hatte es bei uns mal einen Magentarohrbruch gegeben, ein spannendes und zugleich dramatisches Ereignis – ein Purpur-Geysir, der sich über die ganze Hauptstraße ergoss. NationalColor war umgehend zur Stelle gewesen und hatte uns förmlich belagert. Ich meldete mich als freiwilliger Helfer in der Teeküche, um alles aus nächster Nähe mitzukriegen. Die technische Fachsprache der Coloristen war
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