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Grappa 09 - Grappa-Baby

Grappa 09 - Grappa-Baby

Titel: Grappa 09 - Grappa-Baby
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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winkte gönnerhaft mal in diese, mal in jene Richtung.
    Doch auch Liesel machte Furore. Ein Pfleger – gerade damit beschäftigt, einen Frischoperierten über den Flur zu schieben, setzte das Bett voll gegen die Wand, als sein Blick Liesel streifte.
    Endlich standen wir vor Kristins Zimmer. Die Wachen vor der Zimmertür waren verstärkt worden, zwei Jungs im Schwarzenegger-Format hoben kurz den Kopf, erkannten den ärztlichen Direktor und blieben friedlich.
    Berggrün drückte die Türklinke hinunter, wir traten ein.
    Der Raum war fast dunkel, das Bett stand mitten im Zimmer. Am Kopfteil war eine indirekt leuchtende Röhre angebracht, rechts und links standen kleine und große Apparate, die alle in Betrieb waren, Pieptöne von sich gaben und auf kleinen Monitoren jede Regung von Kristin Faber vermerkten. Ich trat näher. Mein Herz begann zu klopfen.
    Da lag sie, flach auf dem Rücken, die Arme ausgestreckt, in den Venen Nadeln, zu denen Schläuche führten, die wiederum in den Apparaten endeten. Ihr Gesicht war bleich, das Haar sehr kurz. Die Schläuche in den Nasenlöchern glänzten im Schein der Lampe.
    »Was ist mit ihrem Haar passiert?«, hörte ich Liesel fragen. »Sie hatte so schönes, langes schwarzes Haar.«
    »Ein Problem der Pflege«, erläuterte Berggrün. »Wir müssen die Patientin schließlich sauber halten. Also haben wir es abgeschnitten.«
    »Schrecklich«, murmelte Liesel und wandte sich ab.
    »Wird sie je wieder gesund?«, fragte ich. Ich sah mich dort liegen, und Panik ergriff mich. Nein, dann lieber tot – nach der großen, schwarzen Leere nichts mehr spüren, nichts mehr wissen, sich an nichts mehr erinnern – noch nicht mal an die eigene Existenz.
    »Es gibt Koma-Patienten, die nach zehn Jahren plötzlich aufwachen und fast normal reagieren«, erklärte Berggrün. »Aber bei dieser Patientin ist das Gehirn zu stark zerstört. Wenn sie nicht schwanger wäre ...« Er stoppte.
    »Was, wenn sie nicht schwanger wäre?«, nahm ich den Faden auf.
    »Uns Ärzten wird gern vorgeworfen, Leben von Koma-Patienten zu Forschungszwecken künstlich zu verlängern – als hätten wir Spaß daran, unsere Instrumente mal so richtig auszuprobieren. Das ist eine bösartige Unterstellung.« Er machte wieder eine Pause.
    Ich sah den dunklen Kopf der Schwangeren, die so unendlich ruhig dalag, einer zerbrochenen Puppe gleich.
    »Warum lässt man sie dann nicht sterben?«, fragte ich heiser.
    »Wenn es in meiner Macht läge, Frau Grappa, dann wären die lebenserhaltenden Maßnahmen längst eingestellt worden«, sagte Berggrün bitter. »Als Arzt bin ich zwar verpflichtet, Leben zu erhalten, doch dies hier ist kein Leben.«
    »Also warum?«
    »Die Eltern der Patientin wollen das Kind – und das Kind ist neues Leben mit dem Recht auf Schutz.«
    »Das Kind eines Verbrechers?«
    »Leben ist ein Wert an sich, der geschützt werden muss.«
    »Dass ich nicht lache! Gilt dieser moralisch-ethische Überbau auch für Kristin Faber, die als lebender Leichnam in einem dunklen Zimmer zur Gebärmaschine degradiert wird?«
    »Organisch ist Frau Faber in der Lage, eine gesundes Kind auszutragen«, behauptete er. »Wollen Sie ein Kind töten, das vielleicht später Freude am Leben hat? Vielleicht ein berühmter Musiker wird? Oder ein Wissenschaftler? Oder eine begnadete Opernsängerin?«
    Ich schwieg. Das Thema war zu komplex, um am Bett einer Todkranken diskutiert zu werden.
    »Wie viele Kinder haben Sie denn schon auf dem Gewissen?« Berggrün hatte meinen Arm gepackt, seine Stimme war zornig. Er sah mir direkt in die Augen.
    »Was meinen Sie?«, fragte ich verdattert.
    »Wie oft waren Sie schwanger und haben abgetrieben?«
    »Ich war noch nie schwanger«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Dann können Sie sich glücklich schätzen.« Er ließ meinen Arm wieder los. »Ich kenne viele Frauen, die noch heute darunter leiden, dass sie abgetrieben haben. Denen beim Anblick von Kindern Tränen in die Augen schießen.«
    »Ich habe Achtung vor Ihrer Haltung«, stellte ich fest. »Aber ich verstehe auch den Ehemann, dem dieses Kind den Verstand raubt, und ich verstehe die Eltern, die hoffen, dass in diesem Kind ein Stück ihrer Tochter weiterlebt. Das Kind kann ja wirklich nichts dafür, von einem Verbrecher gezeugt worden zu sein. Hoffentlich erfährt es niemals von den Umständen seiner Existenz.«
    Mir war hundeelend zumute. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich Berggrün in ein solches Gespräch verwickeln würde.
    Ich sah
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