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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle
Autoren: Marie Cordonnier
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tödlich erschöpfte Mädchenstimme: »Helft mir! Im Namen der heiligen Anna, ich bitte Euch, helft mir ...«
    Die Gestalt versuchte sich aufzurichten, sank aber mit einem herzzerreißenden Laut wieder in sich zusammen.
    »Verdammt!«
    Die Augen des Ritters flogen über den Fluss zur Mühle. Er begriff, welchen Weg das Mädchen gewählt hatte, und er traf in der Spanne eines einzigen Herzschlages seine Entscheidung.
    »Komm mit! Ich werde nicht zulassen, dass auch nur eine einzige Magd in die Hände dieser Schweine fällt, wenn ich etwas gegen sie tun kann!«, knurrte er und zog das taumelnde Mädchen hoch.
    »Kannst du laufen?«
    Die Antwort erübrigte sich, denn sie konnte kaum stehen. Sie triefte vor Nässe, zitterte vor Kälte und schien halb ertrunken zu sein.
    Mit einem neuerlichen Fluch legte sich der junge Ritter die tropfende Gestalt über die Schulter und eilte auf das Lager des Herzogs zu. Es kümmerte ihn nicht, dass sich die Männer der herzoglichen Garde verblüffte Blicke zuwarfen. In diesem Moment gab ihm die Last auf seiner Schulter das tröstliche Gefühl, wenigstens nicht ganz versagt zu haben.
    Graciana, deren feuchte Kleider das Wams des Ritters beschmutzten, hing halb ohnmächtig in seinem schraubstockartigen Griff. Wie sie es fertig gebracht hatte, nach ihrem Sturz in das Wasser das Ufer zu erklimmen und in seinem Schutz die Brücke zu erreichen, konnte sie selbst nicht sagen. Sie hatte Unmengen eisiges Wasser geschluckt, und ihre schmalen Füße bluteten vor Schnitten und Rissen, aber sie war längst über normales Schmerzempfinden hinaus. Was sie vor der Mühle von Auray erlebt hatte, war schlimmer als ein paar lächerliche Wunden.
    Irgendwann fand der schwankende Lauf sein Ende, und sie wurde unsanft auf ihre schmerzenden Füße gestellt. Zwei Hände um ihre Oberarme sorgten dafür, dass sie nicht wie eine Lumpenpuppe in sich zusammensank.
    »Woher kommst du, Mädchen? Wohin soll ich dich bringen? Du bist in Sicherheit, aber ich nehme nicht an, dass du mit mir ins Lager des Herzogs kommen möchtest.«
    Die drängende, befehlsgewohnte Stimme des Ritters musste die Worte noch einige Male wiederholen, bis Graciana begriff, dass sie damit gemeint war. Sie schöpfte zitternd Atem und strich sich mit bebender Hand die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn. Gegen das Licht verstreuter Feuer und Fackeln sah sie die kantigen Umrisse eines großen Mannes, der nach Waffenfett, Leder, Schweiß und Pferden roch.
    »Es ... Ich ... ich ...«
    Graciana brachte keinen zusammenhängenden Satz über die Lippen. Der Schock der Ereignisse steckte so tief in ihr, dass sie den Mund öffnete, ohne dass ein Wort herauskam.
    »Mit der ist nichts anzufangen, Seigneur!«, mischte sich der Sergeant ein, der die Eskorte befehligte. »Sie gehört in die Hände einer erfahrenen Weibsperson oder wenigstens an einen ruhigen Platz, wo sie sich erst einmal ausschlafen kann!«
    »Einer Weibsperson?« Kérven des Iles begann zu merken, dass er sich aus Mitleid einen gehörigen Klotz ans Bein gebunden hatte. »Wie stellt Ihr Euch das vor, Sergeant? Soll ich mich auf die Suche nach den Marketenderinnen machen? Die wollen sich das Geschäft dieser Nacht nicht von einem Küken stören lassen, das dummerweise zwischen die Fronten geraten ist. Und einen ruhigen Platz sucht man in Auray heute ohnehin vergebens ...«
    Durch den Nebel ihrer Erschöpfung nahm Graciana immerhin wahr, dass ihr Retter sich Gedanken um ihr weiteres Schicksal machte.
    »Verdammt, ich muss zum Herzog, und da kann ich mich kaum mit diesem Bündel hier belasten. Am besten ihr schafft die Kleine in mein Quartier, Sergeant. Vermutlich trefft Ihr dort auf Ludo de Mar, meinen Pagen. Sagt ihm, er soll sich darum kümmern, dass sie irgendwo ein Lager, zu essen und zu trinken bekommt. Vermutlich wird sie morgen früh von selbst verschwinden, wenn sie wieder klar denken kann!«
    »Wie Ihr befehlt, Seigneur!«
    Wie ein Bündel frisch gegerbter Felle wurde Graciana von einer Hand in die nächste geschoben.
    »Komm schon«, knurrte der Soldat, während sich die Schritte des Ritters entfernten. Er machte sich nicht die Mühe, die taumelnde Gestalt vor einem Sturz zu bewahren. Im Grunde seines Herzens hielt er den jungen Mann für einen Narren, dass er sich mit einer Hure abgab, die aus einem Söldnerlager kam.
    Graciana stolperte aus reiner Verzweiflung hinter ihm her. Wohin sollte sie sonst gehen? Der scharfe Schmerz, der ihre Fußsohlen marterte, sorgte im Verein mit den
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