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Gottspieler

Gottspieler

Titel: Gottspieler
Autoren: Robin Cook
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Colonel Bentworth zugute halten«, meinte Jacob, »er hat einer ganzen Generation von Psychiatern in der Ausbildung als Fallstudie gedient.«
    »Das Gefühl hatte ich auch«, gab Cassi zu. »Ich habe versucht, mich durch die wichtigsten Teile dieser Krankengeschichte zu arbeiten. Ich glaube, sie ist mindestens so lang wie Krieg und Frieden. Wenigstens hat sie mich davor bewahrt, mich zum Narren zu machen, indem ich auf gut Glück eine Diagnose stelle. In der Akte steht, er befinde sich an der Grenze zur Persönlichkeitsspaltung und erleide gelegentlich psychotische Schübe.
    Die physische Untersuchung ergab zahlreiche Quetschungen im Gesicht und einen leichten Riß in der Oberlippe. Ansonsten erbrachte die Untersuchung – mit Ausnahme der selbst zugefügten Brandwunden – keinerlei Anomalien. Beide Handgelenke wiesen dünne Narben auf. Er weigerte sich, einer kompletten neurologischen Untersuchung zuzustimmen, wußte aber genau, wer er war und wo er sich befand, selbst dieUhrzeit. Da die gegenwärtige Aufnahme, was die Symptome angeht, fast identisch mit der letzten war und da die Behandlung mit Amylnatrium bei der vorangegangenen Gelegenheit so gut angeschlagen hatte, wurde er auch diesmal intravenös langsam mit einem halben Gramm versorgt.«
    Fast im selben Moment, in dem sie ihren Bericht beendet hatte, erklang Cassis Name aus dem Kliniklautsprecher. Ganz automatisch wollte sie aufstehen, aber Joan hielt sie zurück; im Schwesternzimmer würde man den Anruf für sie entgegennehmen.
    »Hatten Sie den Eindruck, Colonel Bentworth könnte eventuell dazu neigen, sich umzubringen?« fragte Jacob.
    »Nicht wirklich«, sagte Cassi in dem Bewußtsein, auszuweichen. Sie war sich genau im klaren darüber, daß ihre Fähigkeit, ein mögliches Selbstmordrisiko richtig einzuschätzen, ungefähr genauso groß war wie die eines x-beliebigen Mannes auf der Straße. »Daß er sich mit der Zigarette verbrannt hat, schien mir mehr auf eine Tendenz zur Selbstverstümmelung als zur Selbstzerstörung zu deuten.«
    Jacob spielte mit einer Locke seines gekräuselten Haars und blickte zu Roxanne hinüber, die länger als jeder andere auf Clarkson Zwei ihren Dienst versah und daher als unbestrittene Autorität galt. Das war ein weiterer Grund, weshalb Cassi die Arbeit hier genoß. Die steife, hierarchische Struktur, an deren Spitze die Ärzte standen und die überall sonst im Krankenhaus herrschte, hatte hier keine Gültigkeit. Ärzte, Schwestern, Pfleger, alle gehörten zum Clarkson-Zwei-Team und wurden als solche respektiert.
    »Ich habe bisher immer dazu geneigt, auf eine Unterscheidung zwischen beiden Begriffen zu verzichten«, sagte Roxanne, »obwohl es vermutlich Verschiedenheiten gibt. Trotzdem sollten wir im Fall Bentworth vorsichtig sein. Er ist ein außergewöhnlich komplizierter Mensch.«
    »Was man noch als Untertreibung bezeichnen kann«, sagteJacob. »Der militärische Aufstieg des Burschen war kometenhaft, besonders während seiner Dienstzeit in Vietnam. Er ist mehrmals ausgezeichnet worden. Als ich mir seine Armeeakte angesehen habe, wollte mir allerdings scheinen, als wäre eine unverhältnismäßig große Anzahl seiner Männer gefallen. Seine psychiatrischen Probleme zeigten sich erst, als er seinen derzeitigen Rang erhielt. Es war, als hätte der Erfolg ihn ruiniert.«
    »Um auf die Selbstmordgefahr zurückzukommen«, sagte Roxanne an Cassi gewandt, »so glaube ich, daß der wichtigste Punkt im Grad der Depression liegt.«
    »Es handelte sich nicht um eine typische Depression«, sagte Cassi und wußte, daß sie sich auf dünnes Eis begab. »Er sagte, er fühle sich eher leer als traurig. In der einen Minute wirkte er deprimiert, in der nächsten schäumte er vor Wut und benutzte beleidigende Worte. Er war absolut unbeständig.«
    »Da haben wir’s«, sagte Jacob. Es war eine seiner Lieblingsbemerkungen, und ihre Bedeutung lag darin, wie er die Worte betonte. In diesem Fall schien er erfreut zu sein. »Wenn man sich für ein Wort entscheiden müßte, um einen solchen Grenzfall zu kennzeichnen, so wäre, glaube ich, der Begriff Unbeständigkeit der zutreffendste.«
    Cassi nahm das Lob erfreut entgegen. In der vorangegangenen Woche hatte ihr Ego nicht allzuviel Nahrung erhalten.
    »Nun gut«, fuhr Jacob fort, »wie sehen Ihre Pläne bezüglich Colonel Bentworth aus?«
    Cassis Euphorie ließ nach.
    Einer der anderen Ärzte sagte: »Ich glaube, Cassi sollte ihm erst mal das Rauchen abgewöhnen.«
    Das erneute Gelächter
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