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Gottlose Küsse (Vampirgeschichten)

Gottlose Küsse (Vampirgeschichten)

Titel: Gottlose Küsse (Vampirgeschichten)
Autoren: Carola Kickers
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Theke zu warnen. Trotzdem akzeptierte irgendetwas in
mir die ganze Situation, denn es erschien nur logisch, dass man nicht nur an das Gute und an Engel
glauben konnte und dabei das Dunkle verleugnete. Es gab kein Licht ohne Schatten.
    Ich hörte trotz des Gesprächslärms ferne Kirchenglocken läuten, und ein anderer Gedanke
ergriff von mir Besitz: Ich musste Gott noch in dieser Nacht meine Seele anvertrauen, denn ich
wusste nicht, ob ich Gott jemals wieder finden würde.
    „Bitte, darf ich noch zur Kirche gehen?“, fragte ich den jungen Mann. Er schien zu
überlegen.
„Die Zeit läuft uns davon“, sagte er nur.
Ich war verzweifelt und legte meine Hand auf die seine. „Bitte, bring mich dorthin, du
brauchst ja nicht zum Altarkreuz zu gehen. Es ist doch erst dreiundzwanzig Uhr.“
„Es gibt dort drin schon lange kein Kreuz mehr“, meinte er fast spöttisch. Dennoch verstand
er mein Flehen. „Komm mit!“
Wir standen auf. Ich schaute nochmals hinüber zu meinen Freundinnen, aber die vielen Leute
oder was auch immer sie waren, verdeckten sie. Der junge Mann schob mich sanft durch die Gäste
hindurch, die mich neugierig und wissend musterten. Dann gelangten wir ins Freie. Die Nacht roch
nach Blumen und ihre Luft wirkte kühl und befreiend. Noch einmal regte sich in mir kurz der
Wunsch, zu fliehen. Ich bemerkte, dass unser Wagen, den wir vor dem Lokal geparkt hatten,
verschwunden war. Gleichzeitig wusste ich, dass ich Thea und Marie wohl nicht wieder sehen
würde.
Ein LKW fuhr auf der Hauptstraße an uns vorbei stadtauswärts und noch einmal war ich
versucht, zu schreien, hinterher zu laufen oder irgendetwas zu tun. Aber innerlich hatte ich mich
bereits in das Kommende ergeben.
    Mein Begleiter hatte mich an die Hand genommen und ging stumm mit mir durch die
schlecht beleuchteten Straßen bis zu einem kleinen Marktplatz, hinter dem sich die Kirche befand.
Einige Stufen führten zum Portal hinauf. Ich zitterte. Mein Vorhaben schien vergessen. Wir blieben
stehen. Wie selbstverständlich nahm mich der Unbekannte in die Arme. Ich wagte nicht, ihn
anzuschauen. Mein Herz raste vor Angst vor dem, was geschehen würde. Dann sagte er jenen Satz,
den ich nie wieder vergessen sollte. Er hatte Recht. Seinen Biss spürte ich kaum und ich begann, die
Nacht zu lieben. Das war im Sommer 2012.
* * *
     
Stille
    In der Abenddämmerung sitze ich gerne hier auf der Bank. Selbst der Gesang der Vögel ist
dann verklungen. Die Luft riecht irgendwie sauber an diesem Ort. Und das zu jeder Jahreszeit und
bei jedem Wetter. Nur im Sommer liegt der schwere Duft der vielen Blumen über den Grabsteinen.
Und ich sitze hier und genieße die Stille auf dem Friedhof. Manchmal blicke ich den letzten
Besuchern nach, wenn sie zum Ausgang gehen. In vielen Gesichtern steht echte Trauer, in anderen
nur reines Pflichtgefühl. Sie sehen mich nicht, wenn sie vorübergehen. Niemand sieht mich, nur die
Tiere und die Kinder können das zu dieser Tageszeit, wenn das Tor zur Nacht sich langsam öffnet
und das letzte Licht vergeht. Die Menschen nennen das die „magische“ Stunde.
    Mit der Zeit ist das wie überall in der Natur
– ein Werden und Vergehen. Die Menschen
verstehen das nicht. Sie sind immer in Eile – außer hier, an diesem ganz besonderen Ort. Hier
scheint die Zeit eingefroren. Und gerade hier sind ihre Herzen so verletzlich. Manchmal lese ich
heimlich ihre Gedanken, wenn ich hinter ihnen an den Gräbern stehe - unsichtbar. Ich kann nicht so
empfinden wie sie, doch sie rühren mich. Mein eigenes Herz schlägt schon so lange nicht mehr.
    Ich warte
– wie jeden Abend – auf etwas besonderes, auf jemand besonderen, auf ein ganz
bestimmtes Gefühl, einen ganz bestimmten Gedanken. Manchmal muss ich monatelang warten, bis
ich wieder einen finde. An diesem Abend hat sich das Warten gelohnt. Bei einem dieser Menschen
spürte ich die Sehnsucht, die Sehnsucht nach der anderen Welt. Ich habe den Schlüssel dazu.
    Es ist eine alte Frau, die ihren Mann im Krieg verlor und später ihren Sohn durch einen
Unfall. Ich habe sie schon öfter da stehen sehen, so verloren. Ihr Blick ist so leer. Dieses Mal ist ihr
Sehnen stark genug, dass ich näher darf. Sie sieht mich nicht, vielleicht spürt sie mich, denn mein
Atem ist kalt. Sie dreht sich nicht einmal um. Nach einer kleinen Weile lege ich sie behutsam auf das
Grab, das sie jahrelang gepflegt hat. Sie werden sie morgen früh schon finden.
    Früher nannten uns die Menschen Vampire, doch es ist
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