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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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halb zu Bewusstsein. Als er nach meinem Arm griff und versuchte sich aufzurichten, schien ihn der Schmerz wie eine Explosion zu treffen.
    »Los, weiter«, bellte ich.
    Wieder hörte er mich nicht, und sein Gleichgewichtsgefühl war ihm abhandengekommen, aber er hatte genügend Willenskraft, um sich vom Boden hochzudrücken, weit genug, dass ich ihn das restliche Stück schieben konnte. Er kippte durch die offene Tür auf den Sitz. Ich griff nach seiner Hand, drückte sie auf die Wunde und fixierte sie mit dem Sicherheitsgurt. Ich warf die Tür zu und rannte zurück zu Jesse.
    Auf halbem Wege zwischen der Hütte und dem Jeep versuchte er mit schwindenden Kräften vorwärtszurobben. Über ihm prasselte es in den Bäumen: fünfzehn Meter hohe Flammenwände, angefacht vom Wind. Von Tabitha fehlte jede Spur.
    Ich legte ihm den Arm um die Schultern und schaffte es, ihn aufzurichten. Gemeinsam humpelten wir zum Jeep. Er blickte sich um und erkannte nun ebenfalls, dass sich das Feuer bereits über das Gelände ausgebreitet hatte und nicht mehr zu kontrollieren war. An den Berghängen brannte es wie Zunder, die Flammen breiteten sich rasch aus.
    »Ich habe die Pistole auf der Veranda fallen lassen, die ist nicht mehr zu gebrauchen«, keuchte er.
    »Vergiss es.«
    Er sah mich an. »Ich hab Paxton erschossen.«
    »Ja, du hast ihn getötet.«
    »Ist Brian tot?«
    »Nein, aber wir müssen uns beeilen.«
    Und dann schlug unvermittelt die Angst zu und lähmte mich fast. Brian war am Verbluten, und Luke befand sich in der Gewalt einer Geistesgestörten. Ich konnte nicht beiden zugleich helfen. Aber ich konnte es auch nicht ertragen, einen von beiden zurückzulassen. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte.
    Tränen schossen mir in die Augen. »Los, wir müssen hier weg …«
    Er stützte sich auf mich, sein Mund war ganz nahe an meinem Ohr. »Gib mir die Autoschlüssel.«
    »Was?«
    »Gib mir die Schlüssel«, sagte er bestimmter. »Ich bring Brian ins Krankenhaus. Du suchst nach Luke.«
    Der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht und verdeckte seine Augen, aber ich wusste, dass er es ernst meinte. Es zerriss mir beinahe das Herz. »Jesse, das geht nicht. Es ist nicht dein Wagen. Du kannst nicht ohne die Handhebel fahren.«
    »Ich weiß. Die Schlüssel, Evan.«
    Jesse Blackburn, der Schutzheilige des unberechenbaren Chaos.
    »Wie willst du denn fahren, du kannst die Pedale nicht bedienen!«
    »Wir haben keine Zeit uns zu streiten. Mach schon die verdammte Tür auf.«
    Ich gehorchte und half ihm in den Jeep. Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen und streckte die Hand aus. »Die Schlüssel.«
    Ich gab sie ihm, und er ließ den Motor an. Jesse schaute sich um: Mein Bruder war gegen die Beifahrertür gesunken und schnappte nach Luft wie ein Fisch im Trockenen.
    »Besorg mir einen Stock, einen großen«, befahl Jesse.
    Ich fand einen Ast, der ungefähr einen Meter lang war und drückte ihn Jesse in die Hand. Er sah mir fest in die Augen. »Wir werden es schaffen. Du suchst jetzt nach Luke.«
    Dann drückte er mit dem Ast das Gaspedal nach unten, legte einen niedrigen Gang ein und rollte schlingernd davon. Mein Herz klopfte wie wild, als ich ihm nachstarrte.
    Und dann war ich allein in der Hitze und dem Lärm des Brandes. Ich drehte mich um und machte mich auf den Weg in die Schlucht.

29. Kapitel
    Ich stürzte den Pfad hinunter und kämpfte mich durch das ausgedörrte Gestrüpp, dessen Zweige an meinem Shirt zerrten wie knochige Hände. Rauch strömte über mir dahin, Flammen wallten hinter mir auf.
    Gar nicht weit entfernt von hier hatte ein Pyromane im Jahr 1990 das Painted-Cave-Feuer ausgelöst. An einem windigen Nachmittag hatte er einen Blick auf die Berge und das wild wuchernde Gestrüpp geworfen, das so ausgetrocknet war, dass es wie Zunder brennen würde, und ein einziges Streichholz angezündet. Der Wind trieb die Flammen bergabwärts wie ein Gebläse, alle fünf Minuten legten sie über eineinhalb Kilometer zurück. Fünfhundert Häuser gerieten in Brand. Ganze Viertel wurden evakuiert, Menschen stopften Kinder, Haustiere und Erinnerungsstücke in ihre Autos oder flüchteten zu Fuß Richtung Meer. Nicht alle schafften es.
    Er hatte nur ein einziges Streichholz gebraucht. Chenille dagegen hatte den Scheiterhaufen mit einer ganzen Garage voller Explosivstoffe angeheizt.
    Ich brach durch das dichte Unterholz, der Rauch brannte mir in Augen und Lungen. Vor mir konnte ich niemanden mehr sehen, Lukes Stimme war vom Brausen des
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