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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1
Autoren: Lutz Kreutzer
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hatte:
Aachen liege wie eine Perle in der Schale. Seither hatte sich das Stadtbild
natürlich verändert, aber der Anblick des Talkessels war sicherlich gleich
geblieben.
    Es war warm, der
Himmel war blau. Rundum von Hügeln eingepackt, lag die Altstadt in der Mitte
auf einer leicht gewölbten Anhöhe, die das Rathaus mit seinen weithin
sichtbaren Türmen trug. Als wir auf den Markt kamen, sagte meine Mutter eher
beiläufig: „Und hier sind sie also alle gekrönt worden.“ Dann blickte sie
wortlos auf die Reihe der dreißig Statuen, die hoch oben die Fassade des
Gebäudes zierten und an die Häupter erinnerten, die hier ihre Königsweihen
empfangen hatten.
    „Und der da, das
ist Karl der Große“, sagte Vater und zeigte auf die bronzene Statue auf dem
Brunnen in der Mitte des Marktplatzes.
    „Er hat doch auch
den Dom bauen lassen, oder?“, fragte ich.
    „Tja“, sagte mein
Vater zu Anna, „beinahe hätte ich euch heute die Privatführung eines der besten
Kenner des Doms bieten können. Der Dompropst wollte sich Zeit für uns nehmen; er
hat mit mir die Schulbank gedrückt. Im letzten Augenblick musste er jedoch
wegen eines anderen Termins absagen.“
    „Ein Katholik aus
Bremen?“, fragte sie.
    Vater lachte. „In
der Tat, wir waren damals recht seltene Exemplare im hohen Norden, denn wir
beide entstammten Familien mit katholischen Wurzeln.“ Vater schlenderte die
gepflasterte Krämerstraße hinab und hielt auf ein Barockhaus zu. „Vielleicht
war das einer der Gründe dafür, warum er es so weit gebracht hat, denn
Katholiken im Norden erfuhren eine bessere Förderung durch die Kirche, und das
war seiner Karriere wohl recht zuträglich“, scherzte er. „Na ja, ich werde
versuchen, ihn als Fremdenführer zu ersetzen, so gut ich kann.“
    „Schade, dass wir
ihn nicht kennen lernen“, meinte Anna, „mich hätte interessiert, wie man so
einen Job bekommt.“
    „Er ist mein bester
Jugendfreund gewesen und hat sehr viel für mich und Mutter getan“, sagte Vater,
drückte meine Mutter leicht an sich und blickte ihr kurz in die Augen, wobei
ich eine Unsicherheit bei ihm bemerkte. Mutter aber sah weg und wand sich
leicht in seinem Griff. Ich spürte, dass es da etwas gab, wovon ich nichts
wusste.
    Wir betraten den
Dom, und ich spürte eine Faszination, die ich bis heute nicht beschreiben kann.
Eines jedoch ist für mich sicher: Sie ging von der Kuppel aus und durchströmte
meinen ganzen Körper.
    „Der Bau strahlt
eine ganz besondere Form von Energie aus, sagen viele, die ihn betreten haben“,
flüsterte Vater. „Andere wiederum sagen, dies sei eine ganz normale Kirche. Man
kann das beurteilen wie man will. Mich erfasst jedes Mal ein unbeschreiblicher
Zauber, wenn ich hier bin.“ Er führte uns weiter hinein und wurde leiser,
nachdem wir das schwere Portal durchschritten und den oktogonalen Zentralbau
der Pfalzkapelle betreten hatten: „Das äußere Sechzehneck umbaut ein inneres
Achteck, ein Oktogon also“, flüsterte er und deutete auf die Säulengalerien,
die man vom Portalbogen aus sah. „Das Bemerkenswerte aber ist das Innenleben“,
stellte mein Vater fest. Goldmosaike und ein erhaben wirkendes Gemäuer umgaben
uns wie ein ausgebreiteter Mantel, der uns Schutz zu bieten schien. Dieses
Gebäude war mächtig aber nicht drückend, die Bögen waren klar und fest und
schienen den Raum zu tragen: Alles wirkte stark und unverrückbar.
    „Das Achteck des
Baus“, flüsterte Vater, „steht als Symbol für den achten biblischen Tag, den
Tag der Erlösung, und dieser Anspruch setzt sich fort in der vertikal
ausgerichteten, himmelwärts strebenden Architektur mit dem goldenen
Deckenmosaik.“
    Als Anna und ich
erneut nach oben sahen, blieb mir die Luft weg. Wir richteten unsere Blicke in
die Kuppel, die mir das Gefühl gab, dass sie einen eigenen Himmel besäße. Die
Mosaike an der Decke wirkten kühn und ruhig. Aus ihrer Mitte hing ein
Kronleuchter an einer unendlich lang scheinenden Kette herab, dessen Kranz fast
die Hälfte des Raumes durchmaß.
    Jeder Schritt, den
ich tat, verirrte sich in diesem Geflecht aus Raum und Säulen, jeder meiner
Blicke war gefangen in Vorstellungen und Bildnissen, doch nach jeder noch so
geringen Veränderung meines Standpunktes wurden Kopf und Augen stets vom
Deckengewölbe des Gebäudes angesogen, in dem das goldene Mosaik, Kaiser und
Gott zugleich widerspiegelnd, gnädig und gerecht das Treiben am Boden der
Kathedrale zu bewachen schien. Ich empfand Schönheit ohne
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