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Google-Mitarbeiter Nr. 59

Google-Mitarbeiter Nr. 59

Titel: Google-Mitarbeiter Nr. 59
Autoren: Douglas Edwards
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sprach ein bisschen Russisch. Ich hatte russische Freunde und mochte deren schwarzen Humor, zynische Ansichten und sarkastische Haltung. Ich war ungewöhnlich zuversichtlich, dass das Vorstellungsgespräch gut laufen würde. Vielleicht suchte Sergey einen Mentor? Ich stellte mir vor, wie wir beide mit sibirischem Wodka unseren Erfolg feierten und uns zuprosteten.
    Sergey erschien in Rollerhockey-Aufmachung: kurze Sporthosen, T-Shirt und Inline-Skates. Offenbar kam er geradewegs vom Spielfeld. Ich hatte mich gehütet, eine Krawatte anzuziehen, aber er übertraf meine Vorstellung von lässiger Bürokleidung um Längen. 5
    Ich lehnte mich zurück und nahm mein Spiel mit einem der Gummibälle wieder auf. Ich entspannte mich dermaßen, dass ich versehentlich den Stöpsel herauszog und die Luft zischend entwich. Sergey fand das amüsant. Er studierte meinen Lebenslauf und löcherte mich dann mit Fragen. »Welche von deinen Werbemaßnahmen war die effizienteste?«, »Welche Kennzahlen hast du genutzt, um das zu messen?«, »Welche Arten von Viralmarketing hast du schon genutzt?«, »Was war dein GPA?« Ich schlug mich gut – bis zu dieser Frage. Ich sah ihn an.
    »Mein GPA?« Ich hatte nicht mehr an meinen Notenschnitt gedacht, seit ich 1981 mein Diplom in Händen hielt. Und angesichts dessen, dass mir meine Alma Mater erlaubt hatte, zahllose Kurse zu belegen, bei denen es nur ums Bestehen ging, war ich mir nicht sicher, ob ich jemals gewusst hatte, wie mein Notenschnitt überhaupt war. Ich lachte und dachte, dass Sergey Witze machte. Aber sogar nachdem mir Google einen Job angeboten hatte, lagen mir die HR-Leute wegen meiner Notenübersicht im Studium und meiner Punktzahl beim Zulassungstest für die Uni in den Ohren. Es war eine klassische Google-Situation. Deine Punktzahl im Zulassungstest war der Maßstab für deine intellektuellen Fähigkeiten und dein Notenschnitt beim Examen zeigte deine Fähigkeit, dieses Potenzial umzusetzen. Der Wert deines zukünftigen Beitrags für Google konnte mit diesen beiden Datenpunkten dargestellt werden.
    Sergeys Verlangen, alles auf eine Formel zu reduzieren, sollte mir in den folgenden Jahren eine Menge Frustration bescheren. Während es mich dazu zwang, mein Denken zu disziplinieren, widerstrebte es gleichzeitig meiner tiefen Überzeugung, dass sich manche Dinge nicht mit Algorithmen ausdrücken lassen – und wenn sie noch so sorgfältig abgeleitet waren.
    »Was sollte ein Unternehmen unserer Größenordnung schätzungsweise für Marketing ausgeben?«, fragte mich Sergey. Nach seinen vorherigen Fragen konnte ich mir denken, was er hören wollte.
    »Ich glaube nicht, dass ihr in diesem Stadium viel ausgeben solltet«, antwortete ich. »Mit Viralmarketing und geringem Budget könnt ihr euch wirkungsvoll präsentieren. In einem Superbowl Werbespot-Rennmäuse aus einem Kanonenrohr zu schießen ist keine effiziente Strategie, um eine Marke aufzubauen.« 6
    Sergey nickte zustimmend und fragte mich dann nach meinen sechs Monaten in Sibirien. Dabei wechselte er beiläufig zu Russisch, um zu sehen, wie viel ich aufgeschnappt hatte. Schließlich beugte er sich vor und gab seinen wichtigsten Schuss ab, das, was er als die »entscheidende Frage« bezeichnete. »Ich gebe dir fünf Minuten. Wenn ich zurückkomme, möchte ich, dass du mir etwas Kompliziertes erklärst, das ich noch nicht kenne.« Damit rollte er auf seinen Inlinern aus dem Raum in Richtung Cafeteria.
    Ich sah Cindy an. »Er ist bei allem sehr wissbegierig«, sagte sie. »Du kannst von einem Hobby erzählen oder von etwas Technischem, was immer du willst. Achte nur darauf, dass es etwas ist, womit du dich wirklich gut auskennst.«
    Während die Gedanken durch meinen Kopf rasten, schnappte ich mir ein Blatt Papier. Welche komplizierte Sache kannte ich gut genug, um sie Sergey zu erklären? Windelnwechseln schien mir nicht angemessen. Wie Zeitungen gedruckt werden? Nicht sehr aufregend. Ich entschied, es mit einer grundlegenden Marketingtheorie zu versuchen. Da ich mich kürzlich erst damit beschäftigt hatte, war sie mir sehr präsent.
    Eines meiner schmutzigen kleinen Geheimnisse bestand in dem völligen Mangel einer akademischen Vorbereitung auf die Wirtschaftswelt. Statt Statistik und Wirtschaft zu studieren, hatte ich Kurse über Astrogeologie, Latein und eine Versform genannt »Spenserstrophe« belegt. Glücklicherweise besaß Annie Skeet, meine Chefin bei der Mercury News, einen Harvard MBA und war wild entschlossen, ein
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