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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Autoren: Roberto Saviano
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aber als sie merkten, daß Emanuele tot war, ließen sie davon ab. Sie machten die Türen auf und setzten den Faustschlägen, die jeder Verhaftung vorausgehen, keinerlei Widerstand entgegen. Emanuele war in sich zusammengesackt, in der Hand die Attrappe einer Pistole. Eine der Nachbildungen, die man früher auf dem Land »Hundejäger« nannte, weil man damit streunende Hunde von den Hühnerställen fernhielt. Ein Spielzeug, benutzt, als sei es echt; auch sonst war Emanuele ein Junge, der so tat, als sei er ein Mann; von Natur aus ängstlich, trat er auf wie ein Draufgänger, die paar Kröten in der Tasche hielt er für große Reichtümer. Emanuele war fünfzehn Jahre alt. Alle nannten ihn nur Manu. Er hatte ein schmales, dunkles, kantiges Gesicht und war genau der Typ, von dem man denkt, dem gehst du lieber aus dem Weg. Emanuele wuchs in einer Umgebung auf, in der Ehre und Respekt nicht von dem Geld abhängt, das einer in der Tasche hat, sondern davon, wie er es sich verschafft. Emanuele war Teil von Parco Verde. Und weder ein Fehler noch ein Verbrechen kann die Zugehörigkeit zu bestimmten Orten tilgen, die wie ein Feuerzeichen eingebrannt ist. Alle Familien von Parco Verde hatten Geld gesammelt, um ein kleines Mausoleum zu bauen. Es enthielt eine Fotografie der Madonna dell’Arco und ein gerahmtes Bild des lachenden Manu. Schließlich bekam auch Emanuele eine Kapelle neben den anderen zwanzig, die die Bewohner für alle möglichen Madonnen errichtet hatten, eine für jedes Jahr Arbeitslosigkeit. Der Bürgermeister aber konnte nicht zulassen, daß einem Gauner ein Altar errichtet wurde, und schickte einen Bagger, um die Kapelle abzureißen. Die Mauern zerbrö-selten, als wären, sie aus Fimo. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht in Parco Verde, und die Jugendlichen versammelten sich mit ihren Mopeds und Motorrädern rund um den Bagger. Niemand sagte ein Wort, alle starrten bloß auf den Baggerfahrer, der die Schaufeln bewegte. Die geballten Blicke ließen den Arbeiter innehalten, er deutete an, daß sie auf den maresciallo schauen sollten. Der war es gewesen, der den Befehl erteilt hatte. Eine Geste, um der Wut ein Ziel zu geben und von sich abzulenken. Der Baggerfahrer hatte Angst, schloß sich in seiner Kabine ein, fühlte sich belagert. Plötzlich brach der Aufruhr los. Der Arbeiter konnte sich in das Auto der Carabinieri retten. Der Bagger wurde mit Fäusten und Fußtritten bearbeitet, die Jugendlichen leerten Bierflaschen, um sie mit Benzin zu füllen. Aus den schräg gestellten Mopeds ließen sie Benzin direkt in die Flaschen laufen. Gegen eine Schule ganz in der Nähe flogen Steine. Wenn Emanueles Kapelle zerstört werden mußte, sollte auch alles andere zerstört werden. Aus den Häusern flogen Teller, Vasen und Besteck. Dann Molotowcocktails gegen die Polizei. Müllcontainer wurden als Barrikaden nebeneinandergeschoben. Alles, was Feuer fangen und weiterverbreiten konnte, wurde in Brand gesetzt. Hunderte hatten sich zusammengerottet, sie konnten lange Widerstand leisten. Sie bereiteten sich auf den Guerillakrieg vor. Der Aufstand breitete sich aus und erreichte die Außenbezirke von Neapel.
    Dann aber kam jemand aus allernächster Nähe. Die Zufahrtswege waren von Wagen der Polizei und der Carabinieri abgesperrt, aber ein schwarzer Geländewagen kam durch alle Sperren. Der Fahrer gab ein Zeichen, die Wagentür ging auf, und eine Gruppe von Jugendlichen stieg ein. In weniger als zwei Stunden war der Aufstand beendet. Die Jungen nahmen die Halstücher ab, die sie sich vors Gesicht gebunden hatten, ließen das Feuer auf den Müllbergen verlöschen. Die Clans waren eingeschritten, aber wer weiß, welche. Parco Verde ist ein Reservoir für Handlanger der Camorra. Wer will, holt sich hier Nachwuchs für die niedrigsten Dienste, die noch schlechter bezahlt sind als die nigerianischen oder albanischen Pusher. Alle wollen die Jungen aus Parco Verde: die Casa-lesi, die Mallardo aus Giugliano, die »Tigrotti« aus Crispano. Dealer aus Parco Verde bekommen nicht einmal Prozente auf den Umsatz. Außerdem werden sie als Fahrer und Schmierensteher angeheuert, die das Territorium im Auge behalten, oft viele Kilometer von ihrem Wohnort entfernt. Nur um Arbeit zu haben, verlangen sie nicht einmal die Spritkosten. Auf die Jungs ist Verlaß, sie gehen ihrer Aufgabe umsichtig nach. Manchmal verfallen sie dem Heroin, der Droge der Armen. Manche können sich retten, gehen zum Militär und dann weit fort, auch einige
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