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Goldstück: Roman (German Edition)

Goldstück: Roman (German Edition)

Titel: Goldstück: Roman (German Edition)
Autoren: Anne Hertz
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ist.

Dieser Spruch hängt nun seit über einem Monat über meinem Bett. Das heißt: Er hing dort. Denn heute früh habe ich ihn runtergerissen und weggeworfen. Stattdessen pinnt nun etwas anderes an der Wand:

    Es kommt ja wohl überhaupt nicht in Frage, dass alles so scheiße bleibt, wie es ist!

[home]      
    1. Kapitel
    O kay. Fassen wir zusammen: Ich werde nächste Woche dreißig Jahre alt, bin 1,72 Meter groß und sechzig Kilo schwer, habe halblange dunkelblonde Haare und blaue Augen. So weit, so gut. Leider geht es nicht so schön weiter. Darüber hinaus bin ich nämlich ein Loser, der sein Studium vergeigt hat. Ich wohne zusammen mit meiner achtundzwanzigjährigen Cousine in einer Wohngemeinschaft in Hamburg-Eimsbüttel, während andere Frauen in meinem Alter bereits Familie und ein abbezahltes Eigenheim vorweisen können. Ach ja, Stichwort Familie: Single bin ich dank Gunnar ja nun auch wieder. In einer Großstadt.
    Wir alle kennen die Theorie, wie wahrscheinlich es für Frauen ab dreißig ist, noch den Mann fürs Leben zu finden – oder eher einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen. Ohne übertrieben pathetisch klingen zu wollen, möchte ich feststellen, dass die Tatsache, dass ich quasi zeitgleich meinen Freund verloren und mein Examen vermasselt habe, in gewisser Art und Weise einem Terroranschlag nahekommt. Das Worst-Case-Szenario ist also bereits eingetreten – was soll ich mir da noch Sorgen machen?
    Beschwingt von dem Wissen, dass es schlimmer ohnehin nicht mehr kommen kann, fahre ich an einem Donnerstagabend meinen Computer hoch, starte das E-Mail-Programm und schreibe eine Nachricht an Gunnar. Wenn schon, denn schon. Und denn schon richtig.

Lieber Gunnar,
nachdem Du Dich nun über einen Monat nicht mehr bei mir gemeldet hast und ich Zeit hatte nachzudenken, bin ich zu einer Erkenntnis gekommen (manche Dinge brauchen bekannt
lich eine Weile, bis sie wirklich bei einem einrasten): Mit einem Mann, der mich mitten in meiner größten Krise Knall auf Fall und eiskalt abserviert, möchte ich genau genommen nicht mal meine Treppe feucht wischen. Von anderen Aktivitäten ganz zu schweigen. Ich wünsche Dir nun also noch ein schönes Leben. Hoffentlich fallen Dir alle Sackhaare einzeln aus.
Liebe Grüße,
Maike

    So. Damit wäre diese Tür jetzt endgültig und mit einem nicht zu überhörenden Knall zugeschlagen. Kein Zurück mehr zu Gunnar. Keine verzweifelten Abende mehr, keine sinnlosen Diskussionen mit Kiki, ob er denn nicht doch, vielleicht und unter Umständen … Nein, das ist vorbei. Ab sofort wird Maike Schäfer diesem Penner keine einzige Träne mehr nachweinen. Ich werde mein Leben selbst in die Hand nehmen und mutig voranschreiten. Denn niemand sonst ist für mein Schicksal verantwortlich. Und ich werde dem Schicksal schon zeigen, was ’ne Harke ist!

    »Warum habe ich bloß diese idiotische E-Mail geschrieben?«
    Na gut, die Sache mit dem »Leben selbst in die Hand nehmen« und »dem Penner keine Träne mehr nachweinen« klappt auf Anhieb noch nicht ganz so perfekt. Zwei Stunden später sitze ich in Kikis und meinem Wohnzimmer auf dem Sofa und ergehe mich in mitleidiger Selbstkasteiung.
    »Weil er ein Arschloch ist und es nicht anders verdient hat«, stellt Kiki lapidar fest und zündet sich eine Zigarette an.
    »Aber damit habe ich meine letzte Chance bei ihm verspielt«, erwidere ich in weinerlichem Tonfall. »Jetzt ist es mit Sicherheit endgültig vorbei!«
    »Gut so«, kommt es von Kiki zurück, sie lächelt mich sogar an.
    »Gut so?«, frage ich sie aufgebracht. »Warum sollte das gut sein?«
    »Weil er ein Arschloch ist und es nicht anders verdient hat«, wiederholt Kiki, als würde sie ein tibetanisches Mantra vor sich hin beten.
    »Aber ich liebe ihn doch!«
    »Warum?«
    »Weil ich ihn eben liebe!«, gebe ich trotzig zurück.
    Kiki seufzt und nimmt einen weiteren Zug von ihrer Zigarette. »Maike«, stellt sie dann in nahezu mütterlichem Tonfall fest, obwohl sie jünger ist als ich, »es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen, aber es spielt in diesem Fall überhaupt keine Rolle, ob du ihn noch liebst. Er liebt dich nicht mehr. Darauf kommt es an, also finde dich damit ab.«
    »Woher willst du wissen, dass er mich nicht mehr liebt?«
    »Was hat er auf deine letzte Mail noch mal geantwortet?«, stellt Kiki die Gegenfrage.
    Achselzuckend greife ich nach dem schon etwas zerknitterten Computerausdruck, der vor uns auf dem Couchtisch liegt.

Maike,
vielen Dank für Deine
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