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Goldmond

Goldmond

Titel: Goldmond
Autoren: Susanne Picard
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Geschöpf?
    Die Seele hört staunend, was der Dunkelmond sagt. Wünscht sie etwas? Sie horcht in sich hinein. Wie ein fernes Echo hört sie die Erinnerungen.
    Sie wünschte einst die Rettung der Welt. Dass der Friede, die Liebe, die sie zum anderen Volk empfand, in diese Welt käme.
    Dieser Wunsch wurde dir erfüllt, Geschöpf. Doch das Opfer, das du dafür brachtest, war größer als du selbst, und so gewährten die Schöpfer von Veränderung und Ordnung, dass ihren Rettern ein Wunsch erfüllt würde. Vanar konnte ihm hier den seinen gewähren. Doch was wünschst du?
    Alles in ihr zieht sie zu der Frische hin, der angenehmen Kühle, die sie aus der Leere hierher holte. Beides ist ganz in der Nähe. Der, von dem die heilende Brise ausging, sitzt still, beinahe reglosda. Er hat sich nach Osten gewandt, wo bereits ein türkisfarbener Streifen über dem Meer den Aufgang der Weißen Sonne erahnen lässt, und hat seine Hände im Gebet ausgebreitet.
    Erst jetzt wird ihr bewusst, dass der Altar anders aussieht als der im Heiligtum der Tiefe – flacher und mit einem im Licht der letzten Sterne golden schimmernden Ring darauf.
    Wieder fällt ihr Blick auf den Betenden. Seine rabenschwarzen Haare sind für einen Elben so kurz geschnitten, dass selbst der schmale Goldreif, der sein Haupt krönt und mit smaragdenen und jadenen Blättern geziert ist, sie nicht zu bändigen vermag. Seine Augen – sie weiß, er hat Augen, die die Farbe von jungem Laub haben, durch das die Weiße Sonne scheint – sind geschlossen. Sein ernstes Gesicht, das so selten lächelt, ist angespannt. Er wirkt kummervoll.
    Wieder ist ihr, als sei in der Leere keine Zeit vergangen, denn diesen Kummer, diese Verzweiflung, hat sie auf dem Gesicht dieses Geschöpfs des Vanar schon einmal gesehen. Sie weiß nicht, wie lange es her ist, doch wie lange es auch sein mag, sein Leid hat es nicht gemildert.
    Sie geht vor ihm in die Knie, im Wunsch, ihn zu trösten. Sie würde so gern jeden Kummer von ihm nehmen, den er empfinden mag.
    Er bewegt leicht die schmalen Lippen, als rezitiere er Worte, die er auswendig kennt.
    Obwohl sie die Worte nicht hört, kennt sie sie und kann sie mitsprechen. Sie weiß daher genau, was er gerade tut: Er ruft eine Seele – sie? – ins Leben zurück. Es sind Worte, die die Magie, die Essenz eines Wesens, zwingen zu gehorchen.
    Und so gehorchte auch sie.
    Ist sie deshalb hier?
    Erst jetzt wird ihr bewusst, dass sie in einem leuchtenden Gelb schimmert, einem Gelb, das einen grünen Kern hat und von dunklen Rauchschlieren durchzogen ist. Und ihr wird klar: Sie ist reine Magie, die die Worte hörte, mit denen Vanar selbst einst Leben schenkte und mit denen dieser Elb wieder und wieder nach ihr ruft.
    Wieder erklingt die Stimme des Dunkelmonds wie eine helle Glocke.
    Hast du einen Wunsch, Geschöpf?
    Sie kniet sich vor der kühlen Frische nieder. Eine Anziehungskraft geht davon aus, die so groß ist, dass sie sich unwillkürlich fragt, wie sie je eine geschaffene Welt verlassen konnte, in der dieses Geschöpf existiert. Sie hebt die Finger und legt die Spitzen auf seine Wange.
    Es prickelt, als sie ihn berührt.
    Sie betrachtet das blasse Gesicht des Elbs, das durch das flammende Gelb ihrer daraufliegenden Finger einen Schimmer bekommen hat, als segne ihn der Goldene Mond. Obwohl ihre Fingerspitzen durch seinen Körper hindurchfahren müssten, spürt sie die Glätte seiner Wange, die Kälte, die von ihm ausgeht und die ihren Arm – es ist der linke, der magische – in kühlen, trockenen, nach Weihrauch duftenden Rauch hüllt.
    Ihre Augen brennen, als wären Tränen darin. Sie beugt sich vor, lehnt ihre Stirn gegen seine, und für einen kurzen Moment hat sie den Eindruck, als kitzelten weiche Haarsträhnen ihre Wimpern.
    Sie blinzelt die Tränen fort, denn sie verschleiern die Sicht auf das ernste Antlitz ihres Geliebten. Sie würde ihm gern vergelten, dass er sie von der ewigen Leere erlöste und sie wieder in die geschaffene Welt holte. Die Sehnsucht nach ihm wird so stark, dass sie aufschluchzt. Wie gern wäre sie mehr als ein Seelenbild, mehr als nur der Schatten, das Bild einer Flamme! Wie gern würde sie einen echten Leib an seinen schmiegen, ihm Wärme geben und ihm zeigen, dass er ihre einzige Sehnsucht ist!
    Ich bin hier, Geliebter meiner Seele.
    Einen Augenblick später dringt ein Wispern an ihr Ohr. »Sanara.«
    Er hat sie bei ihrem Namen gerufen. Und jetzt taucht auch seinName aus den Erinnerungen ihres Herzens wieder auf:
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