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Goldmond

Goldmond

Titel: Goldmond
Autoren: Susanne Picard
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Fassade des Tempels gähnte finster der Eingang.
    Das Bild kam plötzlich.
    Eine Klinge, schwarz wie die ewige Finsternis unter der Erde und doch tödlich glänzend, bohrt sich in den grüngelb scheinenden Leib einer schlanken Flamme. Von der Wunde aus breiten sich glitzernde violette Muster aus, Triebe ähnlich wie Raqor, die ihre Wurzeln in das Gelb schlagen und es vergiften. Purpurnes Licht, dunkel leuchtend, fließt aus der Wunde. Die Flamme flackert gequält und wird schwächer, sodass sie kaum noch zu sehen ist.
    Der Gedanke, er müsse ohne Sanara leben, war so schmerzhaft, so schrecklich, dass Telarion ihn nie zur Gänze zugelassen hatte.
    Doch jetzt überfiel ihn das Bewusstsein, dass es vielleicht so war. Das grausame Bewusstsein, es sei in der Tat zu spät, um die Aufgabe zu vollenden, zu spät, das Siegel zu retten und damit Sanara, zu spät, um sie noch einmal lebendig zu sehen – die Flamme flackert gequält, als die Triebe sich tiefer und tiefer, unaufhaltsam in sie hineinfressen, sie vergiften, ohne dass es eine Macht gäbe, die sie herausreißen könnte –, lähmte Telarion.
    Doch dann sprang er auf. Niemand würde ihn hindern, die Flamme seines Lebens nicht verlöschen zu lassen. Er war Heiler. Ein Herr des Lebens, ein Liebling des Vanar. Des Goldmonds, der einst das Leben gehütet hatte.
    Ein Funken Hoffnung entzündete sich in ihm. Wärme und Zuversicht breitete sich in seinem Inneren aus, als habe Sanara Amadian das Wappen auf seiner Brust berührt, in dem sein Wesen saß, und ließe ihre heißen Finger darübergleiten.
    Hinter ihm verblasste die dunkle Flamme klagend zu Rauch, der sich für ewig in Nichts auflöste.
    Telarion Norandar hörte es kaum noch. Er tauchte in die Dunkelheit, um das brennende Feuer, das die Schöpfung am Leben erhielt und ihm Freude und Lachen gab, zu erhalten.
    Die Qual ließ nicht nach, tief, immer tiefer sog Sanara die Luft ein, doch das verstärkte den Schmerz nur. Sie fühlte sich, als habe man ihr die Lungen herausgerissen. Wieder und wieder versuchte sie, zu Atem zu kommen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Der Schmerz ließ es nicht zu.
    Plötzlich bemerkte sie, dass sie neben ihrem Körper stand. Sie sah an sich herab.
    Dort, wo sich seit ein paar Mondumläufen das Siegel befand, verbreiteten sich jetzt Triebe. Sie gingen von einer Art Dorn aus, der aus violettem Feuer bestand und handspannenlang war. DieTriebe breiteten sich aus wie die einer bösartigen Pflanze, bildeten Ranken und Blüten in ihr, die leise knisterten und langsam in ihrer Seelengestalt Wurzeln schlugen. Der Dorn war die Ursache ihrer Schmerzen – der qasarag , der in ihrem Leib steckte, dort, wo sich in ihrem Seelenbild das Siegel der Ys befand.
    Erneut fiel ihr Blick auf ihren Leib. Er lag am Boden, leblos, mit geschlossenen Augen. Er ertrug die Schmerzen nicht, wusste Sanara plötzlich, und hatte deshalb seine Seele von sich getrennt. Selbst die Tatsache, dass ein anderer ihren Kopf auf seinen Schoß gebettet hatte – war das Sinan, ihr Bruder? –, und sie wieder und wieder beim Namen rief, weckte sie nicht.
    Sie überlegte kurz, warum sie sich nicht einfach wieder in ihren Körper begab. Doch schon der bloße Gedanke löste Angst aus. Angst, der Schmerz, der jede Faser ihres Leibs erfasst hatte und so stark darin wütete, dass sogar ihre Seele ihn empfand, könnte noch schlimmer werden.
    Lange sah sie auf sich selbst hinab. Die geöffnete hataka enthüllte ihre Brust, und Sanara konnte sehen, wie die Ranken sich nicht nur in ihrer Seele, sondern auch auf ihrer Haut ausbreiteten. Im Zentrum die Wunde, in der der magische Dolch steckte, bildeten Triebe ein feines Geäst, Blüten aus Flammen, die aufgingen, erblühten und wieder verwelkten und Narben auf ihrer Haut hinterließen, so wie das violette Feuer in ihr sich immer weiter verzweigte und verästelte. Dort, wo die Ranken und Blumen waren, hinterließen sie vernichtete, verbrannte Haut und Fleisch, das sich nicht wieder neu bilden würde.
    Sanara hatte nie Angst vor dem Feuer gehabt. Respekt, ja. Denn zu viel Feuer, zu viel Hitze konnten ebenso tödlich sein wie zu viel Wasser, zu viel Erde oder zu viel Wind. Jedes Element war schädlich, wenn man es nicht eindämmte, und konnte zur Katastrophe werden. So, wie die geschaffene Welt seit Generationen von Überschwemmungen, Erdbeben und Dürren geplagt wurde.
    Jetzt war Sanara, als sei ihr Körper zum Sinnbild dafür geworden: Die Feuermagierin wurde von zu viel Feuer verbrannt.Einem
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