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Goldfalke (German Edition)

Goldfalke (German Edition)

Titel: Goldfalke (German Edition)
Autoren: Noreen Aidan
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Unterdrückung, die sie hier erfahren hatte, trotz des Gestanks nach Abfall, Abgasen und Armut quoll in Kiana die hilflose Art von Liebe hoch, die sie dieser Stadt seit jeher entgegenbrachte.
    Und die nie erwidert worden war.
    Sie ahnte, wohin ihr Cousin unterwegs war, und eilte los. „Mit etwas Glück können wir Mustafa den Weg abschneiden.“
    „Hey, nicht so schnell!“, hörte sie hinter sich Nesrins Stimme , doch Kiana drosselte ihr Tempo nicht. Konnte es nicht.
    Es war ganz in der Nähe, das vornehme Viertel mit den Ministerien und den teuren Geschäften, die soeben dabei waren, ihre Türen der kaufkräftigen Kundschaft zu öffnen. Die rostfreie Einfarbigkeit der Autos, die hier entlangfuhren, zeugte vom Reichtum ihrer Insassen. Ein Reisebus hielt vor einem der feinen Hotels, wo immer die Ausländer abstiegen.
    Die Ungläubigen.
    Wenn Mustafa die Richtung beibehielt, die er bei ihrem letzten Zusammentreffen eingeschlagen hatte, musste er hier entlangkommen. Kiana schaute sich um, konnte im letzten Moment einem Kleinlaster ausweichen, sah erneut um sich. Das Gitter der Burka schränkte ihren Blick ein - den Blick, der kurz zuvor noch über die Endlosigkeit der Wüste geschweift war. Unbehindert und frei.
    A uf einmal hatte Kiana das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, erstickt zu werden von der Burka, diesem Stück Stoff aus engmaschigen Fasern und engmaschigen Moralvorstellungen. So ähnlich musste sich Damons Lähmender Schleier anfühlen.
    Kiana riss sich die Burka vom Kopf, warf sie auf den Boden und atmete keuchend die ungesiebte Luft ein.
    „Gute Idee, Ki! Echt gute Idee!“ Auch Nesrin zog sich die Burka vom Kopf. „Wow, ich kann wieder zusammenhängende Bilder erkennen!“
    Amir stemmte die Hände in die Hüften. „Was soll das? Habt ihr nicht gehört, was Fatima gesagt hat?“
    „Dann setz du mal das Teil auf und versuche, damit was zu sehen!“ Nesrin stopfte die Burka in ihre Tasche.
    Und plötzlich sah Kiana ihren Cousin.
    Taub für das Hupen der Autos und blind für den Fahrradfahrer, der ihm mit einem Schlenker ausweichen musste, überquerte Mustafa mit gesenktem Kopf und murmelnden Lippen die Straße. Kiana wusste, dass das, was er da vor sich hin brabbelte, die religiösen Sprüche waren, die aus den Ohrstöpseln seines umgehängten Musikgeräts kamen. Die seinen Geist einhüllten und den eigenen Willen ausschalteten.
    E in Lähmender Schleier aus Worten.
    Mustafa ging auf Kiana zu, ohne sie wahrzunehmen, reagierte nicht auf ihre Rufe - „Mustafa! Mustafa!“ Sie rempelte ihn an. „Mustafa!“
    Erst jetzt bemerkte er sie. „ Cousinchen!“
    Dieses Mal musterte Kiana ihn genau. Sein warmherziges Lächeln passte nicht zu dem seltsamen breiten Ding, das sich in Bauchhöhe unter dem Stoff seines Hemdes abzeichnete. Liebevoll strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Was machst du denn hier, Kiana? Und ohne Burka? Ab mit dir nach Hause, bevor hier in wenigen Augenblicken …“ Er beendete den Satz nicht, sondern begann wieder, religiöse Sprüche zu murmeln und dabei zu dem Ausländerhotel zu schauen. War das sein Ziel? Wie fremdgesteuert ging er weiter.
    Kiana überholte ihn und stellte sich ihm in den Weg. „Mustafa, tu das nicht! Wirf dein Leben nicht weg!“ Tränen rannen ihr über die Wangen, ihre Stimme zitterte. „Ich habe gelernt, wie schön das Leben sein kann, wenn …“ Händeringend scheiterte sie bei dem Versuch, schnell ein Wort, einen Satz, irgendwas zu finden, das ihre Erfahrungen in der Klaren Welt auch nur andeutungsweise wiedergab. Schließlich stieß sie nur hervor: „Das Leben ist wundervoll, wenn man es selbst bestimmt. Mehr noch: Es ist kostbar! Ein Geschenk, das du nutzen sollst, nicht wegwerfen!“
    Als er sie ansah, als würde er kein Wort von dem verstehen, was sie so verzweifelt in ihn hineinpressen wollte, riss sie ihm die Ohrstöpsel heraus, packte mit beiden Händen den Ausschnitt seines fadenscheinigen Hemdes und fetzte es ihm bis zum Bauch herunter. Eine breite olivgrüne Weste kam zum Vorschein mit weißen und schwarzen Drähten und grauen Päckchen in den Seitentaschen und … noch mehr Drähten. Und eine kleine orangefarbene Glühbirne blinkte.
    Wenigstens schien Mustafa jetzt aufzuwachen. „Was machst du!?“
    Nesrin tauchte neben Kiana auf. „In den Filmen ist es immer der rote Draht, von dem alle sagen, dass man ihn kappen muss, und dann kappt der Actionstar doch immer den blauen.“
    „Aber hier ist kein roter Draht“, entfuhr es
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