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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition)
Autoren: Angela Schwarzer
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Bunker. Und Zara. Von allen Personen war sie es, die Ben am besten verstand. Das lag nicht nur an ihrem Alter, sondern vor allem daran, dass sie war wie er: ein menschlicher Geist in einem künstlichen Körper.
    Ben hatte sich anfangs vor dem Bunker gefürchtet. Er hatte angenommen, dass seine klaustrophobischen Anfälle wiederkehren und ihn quälen würden, aber sie blieben aus. Innerhalb der Gemeinschaft fühlte er sich wohl und geborgen, zum ersten Mal seit dem Tod seiner Eltern und trotz der feindseligen Blicke Francos. Kais Erinnerungen hatten die meisten seiner eigenen überspielt und gelöscht, aber er hatte dennoch nicht vergessen, wer er war und woher er kam. Er konnte damit leben.
    Sehnsüchtig schaute Ben nach oben zur Decke, an der sich hinter einem Gitter ein Ventilator drehte und Sauerstoff verteilte. Er wünschte sich, den Bunker bald wieder verlassen zu können. Aber dort oben, direkt über ihnen, lagen die Trümmer des Schlosses und inmitten der Trümmer befanden sich vielleicht die feindlichen Maschinen. Vielleicht liefen sie gerade jetzt über seinen Kopf hinweg, räumten den Schutt auf und bauten sich ihre neue Welt. Vielleicht fanden sie in eben diesem Augenblick den verschlossenen Eingang zum Bunker. Einem Bunker, den die Wissenschaftler eigentlich gebaut hatten, um heimlich auf verbotenem Terrain forschen zu können. Und zum Schutz vor Übergriffen der KI-Gegner.
    Er seufzte und öffnete die Tür zu Max’ Zimmer. Der alte Mann erwartete ihn bereits. Er saß vollständig angezogen auf seiner Pritsche und winkte ihn heran.
    „Setz dich!“, forderte er Ben auf. Max war bei ihrer Ankunft extrem schwach gewesen, doch mittlerweile hatte er sich etwas erholt. Ben konnte nicht sagen, ob es an dem Wirkstoff lag, den Monica und andere Wissenschaftler an ihm erprobt hatten oder ob er einfach Glück gehabt hatte. Das Virus war innerhalb kürzester Zeit mutiert und hatte eine HMO-Variante ausgebildet, die weniger tödlich wirkte.
    „Wie geht es dir?“, erkundigte sich Ben.
    „Wenn ich meinen Spazierstock hätte, ginge es mir jedenfalls besser“, knurrte der alte Mann, verzog den Mund jedoch zu einem Lächeln, als er Bens Blick sah. „Schon gut, Junge. Ich muss mir eben einen neuen besorgen. Geh und hilf Monica!“ Mit einer unwirschen Handbewegung schickte er Ben aus dem Zimmer, wie jeden Abend und Ben stand auf, wie er es immer tat.
    Er trat auf den Gang hinaus, wo Zara schon auf ihn wartete.
    „Ich habe euer Gespräch belauscht“, sagte sie lächelnd. „Er ist genauso unausstehlich wie früher.“ Ben winkte ab. „Er braucht einen neuen Spazierstock“, sagte er ernst. Zara lachte. „Er braucht jemanden, dem er ein schlechtes Gewissen einreden kann.“ Sie griff nach Bens Hand. „Gehen wir zu Monica.“
     
    Die Luft in dem unterirdischen Raum war kühl und Tom fror trotz der schweren Decke, die er sich um die Schultern gelegt hatte. Es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten, doch noch schwerer fiel es ihm zu schlafen. Zu viel lag hinter ihm.
    Resigniert zog Tom die Decke zur Seite und erhob sich von seiner Pritsche in dem kleinen Schlafraum. Die Klimaanlage summte ihre eintönige Melodie. Monoton genug, um zusätzlich einschläfernd zu wirken, laut genug, ihn wach zu halten.
    Zeit fürs Abendessen. Hunger hatte er keinen, auch keinen Appetit, aber er brauchte dieses Zusammensein mit den anderen Gefangenen. Ja, Gefangene, denn genau das waren sie. Eingekerkert. Der Bunker war ein Verlies, aus dem sie vorerst nicht herauskamen, das aber jederzeit entdeckt werden konnte. Wie lange sollten sie das noch aushalten? Sieben, acht Monate, bis die Vorräte verbraucht waren?
    Von Hans wusste er, dass sämtliche Kameras, die die Umgebung beobachtet hatten, ausgefallen waren. Sie hatten keinerlei Anhaltspunkte, wie es draußen aussah. Zwar funktionierte das Internet weiterhin und lieferte auch einige Bilder, doch sie benutzten es nur selten, da sie nicht sicher sein konnten, wie viele der Anonymisierungsserver noch funktionierten. Sie durften auf keinen Fall ihren Standort verraten.
    Er verließ den Raum. Das Laufen fiel ihm schwer. Seine Beine fühlten sich an wie die eines Astronauten, der nach einer langen Mission auf der Erde gelandet ist. Tom kam es vor, als hätte er jede Kraft verloren. Als hätte er drei Lebensjahrzehnte übersprungen. Alt und krank. Er fühlte sich nutzlos hier unten. Wie auf einer Isolierstation, während oben auf der Erde eine neue Spezies dabei war, die Weltordnung zu
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